Mullah Nasrudin jr. ging gern zur Schule. Denn dort konnte man sich austoben und sich mit Freunden treffen. Aber er hat auch Vieles gelernt – z.B. bei Frau Blaser im Hauswirtschaftsunterricht.
Mullah Nasrudin jr. ging gern zur Schule. Nicht nur, weil es da so viel zu lernen gab, sondern weil man sich dort austoben und seine Freunde treffen konnte. Besonders spassig war der Hauswirtschaftsunterricht bei Frau Blaser. Dort tobten Mullah Nasrudin jr. und seine Kameraden besonders gern. Am liebsten jagten sie einander um die Kochinseln herum und peitschten sich die nassen Geschirrtücher auf den Po.
Mullah Nasrudin jr. erinnert sich, dass seine Kameraden Claudio und Reto einmal besonders viel Spass hatten. Die nassen Geschirrtücher flogen auch diesmal um die Pobacken, doch beim Wegrennen vor Reto riss Claudio die Kühlschranktür auf und Reto rannte mit voller Wucht hinein. Elhamdulillah kam er unverletzt davon, was man von der armen Tür jedoch nicht behaupten konnte. Die weisse Tür in den Händen musste Reto Frau Blaser gestehen: «Frau Blaser, wir haben die Kühlschranktür kaputtgemacht.»
«Frau Blaser, wir haben die Kühlschranktür kaputtgemacht.»
Frau Blaser, die trotz all dem Schindluder, das die Kinder betrieben, meist sehr geduldig blieb, war gerade dabei den Schülern zu zeigen, woran man merkte, dass die Spaghetti al dente waren. Dazu warf sie einen Spaghetti-Wurm gegen die Fliesen oberhalb des Kochherds. «Bleibt die Spaghetti kleben, ist sie bereit für den Verzehr», erklärte sie in die Runde. Doch Mullah Nasrudin jr. und seine Kameraden waren besonders wissbegierige Kinder und wiederholten das Experiment mit einem Stück Fischfilet und Broccoli – die allerdings nicht besonders al dente zu sein schienen.
In der Zwischenzeit waren auch Mullah Nasrudin jrs. andere Kameraden mit ihren Arbeiten beschäftigt. Da gab es seinen besten Freund Ali, der von Frau Blaser die Aufgabe bekommen hatte, den Salat zu waschen. Diese Aufgabe wollte Ali besonders gewissenhaft erfüllen. Sorgfältig seifte er die Salatblätter mit Geschirrspülmittel ein und schrubbte sie mit der Bürste ab. Und auch Schulfreund Pascal half beim Aufräumen mit. Zusammen mit dem dreckigen Geschirr liess er auch die elektronische Küchenwaage in das mit Seifenwasser gefüllte Spülbecken gleiten. Als er bemerkte, dass diese nicht mehr funktionierte, musste er Frau Blaser gestehen: «Frau Blaser, wir haben die Küchenwaage kaputtgemacht.» Dass Frau Blaser ihm auftrug, die kaputte Waage von seinem Taschengeld zu bezahlen, fand er nicht so spassig.
«Frau Blaser, wir haben die Küchenwaage kaputtgemacht.»
Frau Blaser, die von den Schülern auch liebevoll Ghettoblaster genannt wurde, tat Mullah Nasrudin jr. manchmal leid. Weshalb, wusste er selbst nicht so genau. Denn eigentlich war sie eine grosse, kräftige Frau um die 50, die gut auf sich Acht geben konnte. Mullah Nasrudin jr. konnte sich an ihr rot gefärbtes Haar, die ledrig-solariumgebräunte Haut und ihre grossen Brüste erinnern. Wenn er ehrlich war, glich sie einer grossen, gutmütigen Hexe, doch nie hätte er das laut ausgesprochen und Frau Blaser damit verletzt. Nein, so einer war er wahrlich nicht.
Eines Tages erschien Frau Blaser mit einem Topf voller Zettel. Auf den Zetteln standen Namen von Lebensmitteln und Frau Blaser erklärte: «Jeder von euch zieht einen Zettel. Über das Lebensmittel auf eurem Zettel werdet ihr nächste Woche einen Vortrag halten. Zur Vorbereitung dürft ihr diese Broschüren hier verwenden.» Mullah Nasrudin jr. griff in den Topf und zog einen Zettel, auf dem Banane zu lesen war. Daraufhin händigte Frau Blaser ihm eine Broschüre mit dem Titel «Alles Banane?» aus.
«Alles Banane?»
Wie Mullah Nasrudin jr. so war, hatte er den Kopf voller Unfug, und so war der Vortrag schnell vergessen. Erst am Vorabend fiel ihm ein, dass er am nächsten Tag der Klasse etwas über Bananen erzählen sollte. Mullah Nasrudin jr. kramte Frau Blasers Broschüre hervor und hatte eine geniale Idee! Er würde in einem gelben Pullover zum Vortrag erscheinen, gelb wie eine Banane. Dann würde er mit den Worten «Alles Banane?» beginnen. «Das kommt bestimmt gut», machte Mullah Nasrudin jr. sich selbst Mut. So viel Kreativität und Eigeninitiative würden selbst die grosse Frau Blaser umhauen. Und der gelbe Pullover würde davon ablenken, dass er seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte und unvorbereitet zum Vortrag erschienen war.
Als Mullah Nasrudin jr. am nächsten Tag im gelben Pullover vor der Klasse stand, fragte er grinsend: «Alles Banane?» In der Hoffnung, einen rhetorisch meisterhaften Einstieg gemacht zu haben, blickte er erwartungsvoll in die Klasse – doch niemand lachte. Und so begann Mullah Nasrudin jr. aus seiner Broschüre vorzulesen. «In vielen Erdteilen der Welt gehört die Banane zu einem der wichtigsten Lebensmittel…» Mullah Nasrudin jr. las noch eine Weile aus dem Text, etwa wie wichtig der Export von Bananen für viele Regionen in der Welt sei, und beendete den Vortrag mit: «Bestellen Sie jetzt Bio-Bananen direkt zu sich ins Haus. Für weitere Informationen rufen Sie bitte die Hotline 0900…»
Natürlich hatte der Mullah die Broschüre nicht vollständig durchgelesen und natürlich war er im Lesen zu langsam, als dass er das Unheil rechtzeitig hätte abwenden können. Und so gab er die Informationen zur Bananenlieferung an seine Klasse weiter. Schallendes Gelächter war zu hören. Nur Frau Blaser lachte nicht. Ihr Gesicht war vor Wut rot angelaufen. «Mullah Nasrudin jr.!», schrie sie so erbost, dass ihre Brüste bebten. «Du hast die Broschüre ja noch nicht einmal gelesen! Sonst hättest du uns wohl nicht die Lieferdaten durchgegeben!». Mullah Nasrudin jr. bekam eine schlechte Note, doch die gute Frau Blaser hatte Mitleid, und so durfte er den Vortrag in der darauffolgenden Woche wiederholen. Sie hatte wahrlich Geduld, die gute Frau Blaser!
Die Geschichten von Mullah Nasrudin kennt man in ganz Afghanistan, im Iran, in Tadschikistan, in der Türkei und auf dem Balkan. Ähnlich wie der historische Held ist auch Mullah Nasrudin Junior bei seinen Freunden sowohl für seine Weisheit wie für seine Dummheit bekannt. Hier teilt er beides.