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Antimuslimischer Rassismus in der Schweiz: Eine längst überfällige Studie

Letzten Donnerstag veröffentlichte die Fachstelle für Rassismusbekämpfung die erste umfassende Grundlagenstudie zu antimuslimischem Rassismus in der Schweiz. Wir waren bei der Präsentation für euch dabei und haben mit anwesenden Expert*innen gesprochen.

Ein Phänomen, das in der musli­mi­schen Community in der Schweiz schon lange zu spüren war, aber bisher kaum unter­sucht wurde: Antimus­li­mi­scher Rassismus. Nun wird das Problem benannt.

Im Auftrag der Fachstelle für Rassis­mus­be­kämpfung (FRB) hat das Schwei­ze­rische Zentrum für Islam und Gesell­schaft der Univer­sität Freiburg zum ersten Mal eine Grund­la­gen­studie zu antimus­li­mi­schem Rassismus in der Schweiz durch­ge­führt. Die Studie zeigt klar auf, dass antimus­li­mi­scher Rassismus kein Einzelfall ist, sondern sich syste­ma­tisch in verschie­denen Lebens­be­reichen von Muslim*innen zeigt.

Am Donnerstag wurde die Studie an einer Presse­kon­ferenz gefolgt von einer Fachver­an­staltung mit Podiums­dis­kussion vorge­stellt. Wir waren vor Ort und haben mit Teilnehmer*innen der Veran­staltung gesprochen, wie der Islam­wis­sen­schaft­lerin Amira Hafner-Al Jabaji, der Spoken Word Poetin Fatima Moumouni oder dem Juristen Tarek Naguib.

Wichtige Studie für mehr Sichtbarkeit

«Die Studie ist wichtig, weil sie zum ersten Mal ein umfas­sendes Bild von einem Phänomen vermittelt, das ganz viele Musli­minnen und Muslime tagtäglich erleben und das ihnen das Gefühl gibt, etwas stimme nicht mit ihnen», betont Amira Hafner-Al Jabaji, die die Podiums­dis­kussion moderierte.

Obwohl so viele Menschen betroffen sind, gibt es wenig Bewusstsein im Hinblick auf das Problem und dessen Ausmass, erklärt Fatima Moumouni. «Viele Menschen wissen nicht, dass es antimus­li­mi­schen Rassismus gibt.» Und Krimi­nologe Ahmed Ajil sagt: «Das Problem wird häufig heruntergespielt.»

Diskri­mi­nierung in allen Lebensbereichen

Die Studie zeigt auf, dass zwischen 160’000 und 175’000 Musli­minnen und Muslime in der Schweiz minde­stens einmal Erfah­rungen mit antimus­li­mi­schem Rassismus gemacht haben. Sei es in der Schule, auf der Arbeit, durch die Polizei oder in den Medien – antimus­li­mi­scher Rassismus betrifft alle Lebens­reihe von Muslim*innen.

«In den Medien findet man kaum Berichte, in denen der Islam und Muslim*innen nicht als proble­ma­tisch darge­stellt werden.» — Rifa’at Lenzin

Hafner-Al Jabaji hebt hervor, dass die Studie eindrucksvoll zeige, wie stark Frauen im Vergleich zu Männern von antimus­li­mi­schem Rassismus betroffen sind. Besonders erschreckend ist, dass antimus­li­mi­scher Rassismus mit steigendem Bildungs­stand nicht etwa abnimmt, sondern sogar noch zunimmt. So haben z.B. musli­mische Frauen mit Hochschul­ab­schluss und Kopftuch besonders grosse Schwie­rig­keiten, eine Stelle zu finden, die ihren Quali­fi­ka­tionen entspricht.

Hast du antimus­li­mi­schen Rassismus erlebt? Du kannst den Vorfall bei einer der Beratungs­stellen für Rassis­mus­opfer melden oder auch bei der FIDS (Föderation Islami­scher Dachor­ga­ni­sa­tionen Schweiz).

Auch ist in der Studie zu lesen, wie stark Medien antimus­li­mi­schen Rassismus beflügeln. So wurden etwa im Jahr 2017 Islam und Muslim*innen in jedem zweiten Artikel mit Terror oder Radika­li­sierung in Verbindung gebracht. «In den Medien findet man kaum Berichte, in denen der Islam und Muslim*innen nicht als proble­ma­tisch darge­stellt werden», sagt Rifa’at Lenzin, Islam­wis­sen­schaft­lerin und Präsi­dentin der Inter­re­li­giösen Arbeits­ge­mein­schaft Schweiz. Da dürfe man sich nicht wundern, wenn sich das in den Köpfen jener Menschen absetze, die später abstimmen würden. Die Medien spielen somit «eine verhee­rende Rolle» in der Verbreitung antimus­li­mi­scher Narrative.

Von 2’471 Muslim*innen, die antimus­li­mi­schen Rassismus erleben, meldet nur eine einzige Person den Vorfall bei einer entspre­chenden Stelle.

Dringender Handlungs­bedarf gefordert

Doch nicht nur die Medien sind gefordert; es müsse ein Bewusstsein in der gesamten Gesell­schaft erfolgen, sagt Tarek Naguib. Der Jurist forscht an der ZHAW mit Schwer­punkt Antidis­kri­mi­nie­rungs­recht. Dabei sei der erste Schritt, nämlich das Problem zu benennen, mit der Studie geschehen. Und daraus zitiert er auch gleich eine wichtige Erkenntnis: «Muslim*innen melden rassi­stische Vorfälle nicht, weil sie oft befürchten nicht ernst genommen zu werden», sagt er.

Tatsächlich hält die Studie fest, dass von 2’471 Muslim*innen, die antimus­li­mi­schen Rassismus erleben, nur eine einzige Person die Diskri­mi­nierung bei einer entspre­chenden Stelle meldet. Ein grund­sätz­liches Under­re­porting herrscht beispiels­weise auch im Hinblick auf die Meldung von Antise­mi­tismus. Dennoch ist die Zahl der gemel­deten antise­mi­ti­schen Diskri­mi­nie­rungs­fälle 27 Mal höher als im Falle von antimus­li­mi­schem Rassismus.

2017 wurden Musli­minnen und Muslime in jedem zweiten Artikel mit Terror und Radika­li­sierung in Verbindung gebracht.

Vielfältige Bewäl­ti­gungs­stra­tegien von Betroffenen

In der Studie werden verschiedene Strategien angesprochen, wie Muslim*innen mit dieser Art von Rassismus umgehen. «Einige negieren das Problem, andere gehen in den Wider­stand», erklärt Tarek. «Doch die Belastung der Diskri­mi­nierung sollte nicht auf ihren Schultern liegen.» Der Jurist fordert, dass der recht­liche Diskri­mi­nie­rungs­schutz gestärkt wird und dass politische Entscheidungsträger*innen ihre Macht nutzen, um gegen die Diskri­mi­nierung vorzugehen.

Wer muss ins Handeln kommen?

Was muss nun gemäss der Studienleiter*innen geschehen? Die Studie empfiehlt, öffentlich für das Thema antimus­li­mi­scher Rassismus zu sensi­bi­li­sieren. Für eine bessere Einschätzung der Diskri­mi­nierung sei es zudem unabdingbar, dass Melde- und Beratungs­stellen mit mehr Ressourcen ausge­stattet werden, und Muslim*innen verstärkt über derartige Angebote infor­miert werden.

Ein weitere Fokus soll auf der Arbeit gegen antimus­li­mi­schen Rassismus innerhalb von Behörden, Ausbil­dungs­stätten oder der Unter­nemen liegen. So sollen beispiels­weise Lehrper­sonen, Polizei und Arbeit­ge­bende für das Thema sensi­bi­li­siert werden. Insbe­sondere die Politik und die Medien hätten die Verant­wortung, antimus­li­mi­schen Rassismus nicht zu fördern, sondern Sensi­bi­li­sierung für das Thema zu schaffen.

Weitere Erkennt­nisse aus der Studie, und was sich die Teilneh­menden der Veran­staltung nun daraus erhoffen, erfährst du im Video.

 

Von Ellen Saaro

 

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