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Ein Shippi als Lehrer? Nichts Exotisches!

Lehrer Fisnik sieht sich in seinem Unterricht immer wieder mit Fragen der Interkulturalität konfrontiert. Wie kann er seinen Schüler/innen vermitteln, Teil einer Gesellschaft zu sein?

Ein «Shippi» als Lehrer? Ja, klar. Denn es gibt sie, die «Shippi»-Lehrerinnen und ‑Lehrer und auch solche mit anderem Migra­ti­ons­hin­ter­grund. Sie sind noch wenige, aber sie werden immer mehr.

Ist das gut, schlecht oder egal? Das ist sehr gut! Weil dadurch die Schweizer Gesell­schaft in den Schulen langsam besser abgebildet wird. Denn zurzeit hat nur ein sehr kleiner Teil der Lehre­rinnen und Lehrer einen Migra­ti­ons­hin­ter­grund – obwohl rund 38 Prozent der Einwoh­ne­rinnen und Einwohner in der Schweiz einen haben. Und damit sich auch diese Menschen stärker als Teil dieser Gesell­schaft sehen, braucht es Lehre­rinnen und Lehrer, die dieses Bild wiedergeben.

Sie sind dieje­nigen, die Brücken zwischen den verschie­denen Kulturen schlagen und Kindern und Jugend­lichen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund helfen können, den Anschluss an die Gesell­schaft und Wirtschaft zu finden. Schliesslich sind sie den ganzen Bildungsweg schon gegangen, und die Erfah­rungen, die sie unterwegs gesammelt haben, sind eine wichtige Ressource. Diese Lehre­rinnen und Lehrer zeigen aber auch, dass jeder Mensch in der Schweiz die Möglichkeit hat, das zu erreichen, was er sich zum Ziel gesetzt hat – mit oder ohne Migrationsgeschichte.

Aber wie schaffe ich es als Lehrer, dass sich jede Schülerin, jeder Schüler, in seiner natio­nalen, ethni­schen, religiösen und sprach­lichen Identität nicht verletzt oder benach­teiligt fühlt? Und wie unter­richte ich so, dass sich die Schüle­rinnen und Schüler später als Schwei­ze­rinnen und Schweizer oder zumindest als Mitglieder dieser Gesell­schaft sehen?

«Sind Sie Albaner?»

Als ich im Lehrer­alltag gelandet war, musste ich feststellen, dass diese Frage gar nicht so leicht zu beant­worten ist. Denn wann immer ich mich einer Klasse vorstelle, und darunter Kinder mit albani­schem Hinter­grund sind, fragen sie mich nach meiner Herkunft. Mit «Sind Sie Albaner?» stellen sie die Frage auch ziemlich direkt. Antworte ich nur mit Nein, könnten sie sich gekränkt fühlen (denn mein Name könnte albani­scher nicht sein), was ich nicht möchte. Antworte ich nur mit Ja, könnten sich die Kinder ohne albani­schen Hinter­grund ausge­schlossen fühlen, was ich auch nicht möchte. Deswegen antworte ich mittler­weile mit Ja und füge gleich hinzu, dass ich gleich­zeitig auch Schweizer bin. So ist es ja letzt­endlich auch.

Die Schule muss man sich als Sprung­brett vorstellen. Unten, im Schwimm­becken, befindet sich die Gesell­schaft. Nun bereiten wir Lehre­rinnen und Lehrer die Kinder entlang der Leiter auf ihren Sprung vor. Wir geben ihnen Bildung weiter, erziehen sie und nehmen auch eine gesell­schaft­liche Aufgabe wahr. Wir geben das weiter, wofür die Schweiz als Staat steht: Demokratie, Bewusstsein für Menschen­rechte und Fortschritts­denken. Vor allem in Zeiten des aufstei­genden Natio­na­lismus, bedrohter Freiheit und Aushöhlung der Demokratie wird diese Lehrer­aufgabe wichtiger.

Wir Lehrer/innen bereiten die Kinder auf ihren Sprung in die Gesell­schaft vor.

Wie schaffe ich es also, die Kinder von zu Hause «abzuholen» und sie der Gesell­schaft «abzugeben»? Klar ist, dass es von beiden Seiten – von Lehrern und Schülern – Bemühungen braucht, um sich annähern, verstehen und respek­tieren zu können. Toleranz ist schön und gut, aber meiner Meinung nach reicht sie nicht aus. Denn Toleranz ist bloss die «Eigen­schaft, etwas dulden, ertragen oder zulassen zu können». Doch es braucht mehr als das: Respekt.

Genau dies sollte auch die Grund­haltung von uns Lehre­rinnen und Lehrern sein: die Verschie­denheit einer Schul­klasse bezüglich Nation, Sprache, Kultur, Religion und Identität zu respek­tieren. Diese Vielfalt sollte nicht etwas Ungewöhn­liches, Exoti­sches oder gar Komisches sein. Ganz im Gegenteil, man sollte sich glücklich schätzen, in einem solchen Schla­raf­fenland der Ideen, Vorstel­lungen und Lebens­weisen zu leben.

Vielfalt sollte nicht etwas Ungewöhn­liches, Exoti­sches oder gar Komisches sein.

Was Schüle­rinnen und Schüler von ihren Lehrkräften brauchen, sind aber Orien­tie­rungs­punkte, die ihnen den Weg zu einem vollwer­tigen Mitglied dieser Gesell­schaft zeigen. Zu diesen Orien­tie­rungs­punkten gehören für mich der Respekt vor der Bundes­ver­fassung, der Respekt vor der Allge­meinen Erklärung der Menschen­rechte und der Respekt vor den zentralen humanen Wertvor­stel­lungen aus ihrer Religion oder Weltan­schauung, die sie von ihren Eltern mitbe­kommen haben.

Der dritte Punkt ist Sache der Eltern, wo sich die Schule nicht einmi­schen darf. Individuen können ihr Leben grund­sätzlich so leben, wie sie wollen: säkular oder religiös, einsprachig oder mehrsprachig, monokul­turell oder inter­kul­turell, mit oder ohne Kopftuch, mit oder ohne sonntäg­lichen Kirchen­besuch, mit oder ohne Veganismus, mit oder ohne den Glauben an den Weihnachtsmann… Und das ist auch gut so.

Wie lebt man die Bundes­ver­fassung oder die Menschenrechte?

Die zwei ersten Punkte sollten aber von der Schweizer Lehrperson gelebt, gefördert und weiter­ge­geben werden. Im Unter­richt sollten sie sich damit ausein­an­der­setzen. Wie aber lebt man die Bundes­ver­fassung oder die Menschen­rechte? Indem man an sie glaubt und das umsetzt, was dort drinsteht. Und indem man Natio­na­lismus, Rassismus und andere Hassideo­logien aktiv bekämpft.

Es braucht aber stets beide Seiten, sonst funktio­niert das alles nicht. Wenn die Lehrperson selber die genannten Punkte nicht respek­tiert, wird das für die Kinder schwie­riger. Sie werden sich anderswo umsehen und anderswo ihre Identität aufbauen. So hatten wir in der Schweiz bereits das Problem, dass Rassisten oder andere Extre­misten solch verwirrte Menschen mit offenen Armen empfangen haben. Und wenn die Schüle­rinnen und Schüler von zu Hause aus so einge­stimmt sind, dass sie für die Überzeu­gungen und Vorstel­lungen einer demokra­ti­schen und fortschritt­lichen Lehrperson nicht offen sind, dann wird diese sie nur schwer erreichen können. Dann ist das Elternhaus sehr stark gefordert.

Ich persönlich habe Letzteres aber noch nie erlebt. Ich unter­richte seit bald drei Jahren und hatte bisher eine tolle Zusam­men­arbeit mit den Eltern. Der demokra­tische und fortschritt­liche Geist in meinem Unter­richt hat noch nie jemanden gestört. Aber auch mein Migra­ti­ons­hin­ter­grund störte sie nicht. Ganz im Gegenteil, es gab und gibt Eltern, die meinen Unter­richt aktiv unter­stützen und sich für das inter­es­sieren, was ich bin – Mensch.

Meine Herkunft war ihr vollkommen egal.

Ich kann mich an die eine Mutter einer Deutsch­schweizer Schülerin erinnern, die während zwei Jahren ein paar Mal meinen Unter­richt besuchte. Da sie Mitglied in der Schul­kom­mission war, kannte ich sie durch Schul­an­lässe schon ein wenig. Nie fragte sie in dieser Zeit nach meiner Herkunft oder meiner Erstsprache, ihr war das vollkommen egal. Und nach jedem Unter­richts­besuch meldete sie mir immer zurück, wie positiv und motivierend sie meinen Unter­richt fand.

Das ist die Haupt­sache, wie ich finde. In der Schule wie auch in der Gesell­schaft sollten wir uns als Menschen begegnen, die alle ihre eigenen Wünsche, Träume, Erfah­rungen, Ängste und Sorgen haben. Unsere natio­nalen, sprach­lichen, religiösen und kultu­rellen Hinter­gründe sollten stets zweit­rangig sein. Zumindest sollten wir uns alle darum bemühen.

Kinder gehen unbeschwerter und mit weniger Vorur­teilen durchs Leben.

Einfach ist dies nicht. Aber ich finde, wir können uns hierbei an Kindern orien­tieren. Sie gehen unbeschwerter und mit weniger Vorur­teilen durchs Leben. Ihnen ist es auch egal, woher ihr Lehrer ursprünglich kommt. Ihnen ist wichtiger, wenn er ihnen ab und zu Zeit zum Zeichnen gibt, witzig, aber doch streng ist, ihnen mal die Pause spontan verlängert, Aufgaben gut erklären kann und im Sport mal selber im Fussball mitmacht.

Und wenn wir Erwach­senen uns mehr an Kindern orien­tieren würden, würden wir es dann bald auch nicht mehr «komisch» finden, wenn «Schweizer» Schüle­rinnen und Schüler von «Albanern» unter­richtet werden. Ein «Shippi» als Lehrer? Das wäre dann ganz normal!

 

  1. Stolz auf dich Fisnik, sehr gute Artikel.
    Viel Erfolg ?

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