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Gehört der Islam zur Schweiz? Warum diese Frage längst beantwortet ist

Nach seiner Teilnahme am Fastenbrechen der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz wurde Bundesrat Beat Jans mit einer Welle von Hasskommentaren überzogen. Der Vorfall zeigt auf erschreckende Weise, wie tief antimuslimische Ressentiments in der Schweiz verwurzelt sind. 

Bundesrat Beat Jans nahm am vergan­genen Dienstag an einem Anlass zum Dialog und Fasten­brechen der Föderation Islami­scher Dachor­ga­ni­sa­tionen Schweiz (FIDS) teil – ein symbo­li­scher Akt für das fried­liche Zusam­men­leben in der Schweiz.

Danach postete er auf X (ehemals Twitter) folgende Zeilen: «Mit Freude habe ich gestern Abend am Fasten­brechen der Föderation islami­scher Dachor­ga­ni­sa­tionen Schweiz FIDS teilge­nommen. Liebe Musli­minnen und Muslime, der Islam als Religion und Sie als Menschen gehören zur Schweiz. Ramadan Mubarak!»

Was folgte, war eine Welle an Hasskom­men­taren und Negativ­presse. Von Verschwö­rungs­theorien über eine geplante Islami­sierung seitens des Estab­lish­ments bis hin zur Bezeichnung «Landes­ver­räter» und Verbrü­derung mit einer Blutsekte, welche mit dem Natio­nal­so­zia­lismus gleich­zu­stellen sei – der Shitstorm machte deutlich, wie tief die Ressen­ti­ments gegen Muslime in der Schweiz noch immer verwurzelt sind.

Doch dieser Vorfall zeigt vor allem eines: Muslim*innen können es nie allen recht machen. Lädt eine islamische Dachor­ga­ni­sation Vertreter der Regierung zum Dialog und Austausch ein, werden sie und die Gäste verbal attackiert. Tun sie nichts, wird ihnen Passi­vität, mangelnde Integration und die Förderung von Paral­lel­struk­turen vorgeworfen.

Dabei war der Anlass ein Muster­bei­spiel für den Zusam­menhalt und die Dialog­kultur in der Schweiz: Jüdische, christ­liche, musli­mische und weitere Vertreter*innen aus der Gesell­schaft waren gemeinsam anwesend, neben Würdi­gungen und Ansprachen wurden am Anlass auch die Resultate der ersten Studie zu antimus­li­mi­schem Rassismus in der Schweiz an einer Podiums­dis­kussion besprochen und eingeordnet.

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Ein Abend also, so ganz im Sinne des Dialogs und des inter­re­li­giösen Austau­sches, der «schwei­ze­ri­scher» nicht hätte sein können. Wer nun einen derar­tigen Anlass als Gefahr sieht, stellt nicht nur Muslim*innen infrage, sondern das Fundament unserer plura­li­sti­schen Gesellschaft.

Die laute Hetze und die Befeuerung russi­scher Propaganda

Schaut man sich nun die teils wutent­brannten Kommentare unter dem Beitrag des Bundes­rates an, wird deutlich: Die lautesten Stimmen stammen aus einem Spektrum, das seit Jahren gegen Minder­heiten hetzt. Sie sprechen Muslim*innen ihre Schweizer Identität ab, obwohl viele von ihnen Schweizer*innen sind. Sie konstru­ieren Verschwö­rungen über die angeb­liche «Islami­sierung», obwohl Muslim*innen in der Schweiz gerade einmal fünf Prozent der Bevöl­kerung ausmachen. Sie unter­stellen musli­mi­schen Organi­sa­tionen Verbin­dungen zu auslän­di­schen Regie­rungen, ignorieren aber, dass Vertreter*innen christ­licher und jüdischer Gemein­schaften ebenfalls eng mit inter­na­tio­nalen Organi­sa­tionen vernetzt sind, ohne dass dies infrage gestellt wird. Ganz allgemein scheint der Gedanke, dass der Islam und damit auch die Muslim*innen mittler­weile fester Bestandteil der Schweizer Gesell­schaft sind, die Vorstel­lungs­kraft vieler Personen zu sprengen – wie auch die Tweets von SVP-Natio­nal­rätin Nina Fehr Düsel sowie des Zürcher Gemein­derats der FDP, Përparim Avdili, zeigen.

Mittler­weile hat sich sogar das russische Staats­medium Russia Today in die Diskussion einge­schaltet und die beiden Tweets auf seiner Plattform zitiert. Dass es weder die FDP noch die SVP zu kümmern scheint, dass ihre Vertreter*innen als Steig­bü­gel­halter für russische Propa­ganda dienen, ist fast schon erschreckend.

Auch die meisten publi­zierten Artikel in den Schweizer Tages­zei­tungen wie Tages­an­zeiger, NZZ und Weltwoche beleuch­teten den Anlass zunächst ausschliesslich kritisch. Sie liessen nicht nur Weitsicht und Objek­ti­vität vermissen, sondern warfen dem Bundesrat teils eine Verklärung des Islams vor.

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Heisst das nun, dass Kritik an Religion tabu ist? Selbst­ver­ständlich nicht, wenn diese fair und mit einer gewissen Objek­ti­vität angebracht wird, indem sie z.B. keine Pauschal­ver­ur­tei­lungen vornimmt, sondern beispiels­weise auch versucht positive Aspekte zu berück­sich­tigen, z.B. die Motivation hinter dem gegebenen Anlass, der darauf zielte, den gegen­sei­tigen Dialog und die Verstän­digung zu fördern. Dass negative Bericht­erstattung über Muslim*innen in der Schweiz dominiert, ist aller­dings ein Muster, das sich stetig wiederholt, während die Errun­gen­schaften der musli­mi­schen Gemein­schaften kaum mediale Beachtung finden.

Errun­gen­schaften der musli­mi­schen Gemeinschaften

Dabei leisten musli­mische Gemein­schaften einen wertvollen Beitrag zur Schweizer Gesell­schaft. Erst vor Kurzem trat die erste musli­mische Seelsor­gerin in der Schweizer Armee ihren Dienst an – ein histo­ri­scher Schritt. Musli­mische Gemein­schaften investieren jährlich tausende von Stunden in ehren­amt­liche Arbeit, sei es in der Jugend­arbeit, der Gemein­schafts­ent­wicklung oder auch bei inter­re­li­giösen Dialogveranstaltungen.

Diese Arbeit ist essen­ziell, um das gesell­schaft­liche Mitein­ander zu stärken. Doch anstatt diese Errun­gen­schaften medial anzuer­kennen, werden Muslim*innen weiterhin misstrauisch beäugt. Sie müssen ständig doppelt und dreifach beweisen, dass sie «dazuge­hören», während ihre Wider­sacher meist keinerlei Belege für ihre populi­sti­schen Behaup­tungen liefern müssen.

Polari­sierung: eine gefähr­liche Entwicklung für die Zukunft

Die eigent­liche Tragweite dieses Shits­torms liegt jedoch in seinem langfri­stigen Effekt: Politiker*innen werden sich in Zukunft zweimal überlegen, ob sie sich mit musli­mi­schen Organi­sa­tionen zeigen. Aus Angst vor der nächsten Welle an Hetze werden sie sich bei künftigen Treffen zurück­halten – dabei ist genau das Gegenteil notwendig. Gerade in Zeiten wachsender gesell­schaft­licher Spannungen müsste der Dialog gestärkt, nicht geschwächt werden.

Sind Gratu­la­tionen zu Ramadan bereits tabu? Darf man musli­mische Akteur*innen nur noch hinter den Kulissen treffen, da ansonsten die eigene politische Laufbahn in Gefahr gerät? Die Antwort ist ein klares Nein. Es braucht hier klare Stellung­nahmen und es darf keine Tabus geben, sich mit einer religiösen Minderheit öffentlich zu unter­halten. Insbe­sondere das Mitte-Links-Spektrum sollte diese gefähr­lichen Tendenzen der Tabui­sierung endlich erkennen und entspre­chend Gegen­steuer geben.

Denn ein funktio­nie­rendes Zusam­men­leben einer Gesell­schaft basiert immer auf Austausch und gegen­sei­tigem Verständnis. Wenn jedoch bestimmte Gruppen aus Angst vor negativen Schlag­zeilen gemieden werden, dann ist das kein Ausdruck von Neutra­lität, sondern von Ausgrenzung. Die Zukunft der Schweiz darf nicht von einer radikalen Minderheit diktiert werden, die auf Hetze und Spaltung setzt. Hier stehen insbe­sondere auch die Medien in der Verant­wortung, diese gefähr­lichen Tendenzen nicht durch ihre Bericht­erstattung zu befeuern.

Ein Schweizer Islam ist kein Widerspruch

Die Vorstellung, dass der Islam nicht zur Schweiz gehört, ist nicht nur falsch, sondern ignoriert die Realität. Es gibt keine Muslime ohne Islam und keinen Islam ohne Muslime. Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt schon längst einen Schweizer Islam – mit Muslim*innen, die hierher­ge­kommen oder hier geboren und aufge­wachsen sind, mit Insti­tu­tionen, die sich an Schweizer Werte und Gesetze halten, und mit Gemein­schaften und Organi­sa­tionen, die sich aktiv in die Gesell­schaft einbringen.

Der Islam in der Schweiz ist keine impor­tierte Bedrohung, sondern eine Realität, die von den gleichen Prinzipien des fried­lichen Zusam­men­lebens geprägt ist wie andere Glaubens­rich­tungen. Dass Muslime nicht per se als Teil der Gesell­schaft wahrge­nommen werden, sondern sich immer wieder recht­fer­tigen müssen, zeigt, dass es noch ein langer Weg zu echter Gleich­be­rech­tigung ist.

Schutz der Religi­ons­freiheit ist nicht verhandelbar

Der Hass, der sich in den Kommen­taren entlädt, richtet sich nicht gegen ein einzelnes Ereignis, sondern gegen das Grund­prinzip der Religi­ons­freiheit, welche in der Bundes­ver­fassung festge­halten ist. Wenn eine Religi­ons­ge­mein­schaft für fried­liche Veran­stal­tungen diffa­miert wird, müssen wir uns als Gesell­schaft fragen, wohin die Reise geht.

Bereits jetzt zeigt eine Studie des Schwei­ze­ri­schen Zentrums für Islam und Gesell­schaft (SZIG) dass rund ein Drittel der Bevöl­kerung zu stark negativen Stereo­typen gegenüber Muslim*innen neigt. Von 2’471 Muslim*innen, die Diskri­mi­nierung erlebten, meldet diese nur eine einzelne Person. Es liegt an uns allen, uns Hetze und Spaltung entge­gen­zu­setzen und die Schweiz als ein Land des fried­lichen Zusam­men­lebens zu verteidigen.

Fazit: Mehr Mut, weniger Angst

Der Shitstorm gegen Bundesrat Beat Jans und die Muslim*innen ist ein Beispiel dafür, wie lautstarke polari­sie­rende und spaltende Kräfte versuchen, den Diskurs zu beein­flussen. Doch gerade in einer direkten Demokratie darf die Angst vor Shits­torms nicht die Oberhand gewinnen.

Es braucht mutige Politiker, die sich von Hass und Hetze nicht einschüchtern lassen und sich öffentlich für den Schutz von Minder­heiten einsetzen. Es braucht eine Gesell­schaft, die Hass als das benennt, was er ist. Und es braucht eine öffent­liche Diskussion, die auf Fakten basiert, nicht auf Verschwö­rungs­theorien und Vorurteilen.

Muslim*innen sind ein fester Bestandteil der Schweiz. Ihr Beitrag ist wertvoll, ihr Engagement ist sichtbar. Die Frage ist nicht, ob der Islam zur Schweiz gehört, sondern wann die Gesell­schaft aufhört, sich vor dieser Tatsache zu fürchten. Denn die Schweiz hat das Potenzial, ein Vorbild für ein harmo­ni­sches multi­re­li­giöses Zusam­men­leben zu sein. Dies ist eine Chance, die wir gemeinsam nutzen sollten.

 

Von Rami Khalid

 

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