Rassismus gehört für die Pflegefachfrau Nala zum Alltag im Alterswohnheim. Die 24-Jährige erzählt, wie sie sich dagegen wehrt, und was sich dringend ändern muss.
«In meiner ersten Arbeitswoche hat mich ein Bewohner gefragt, ob Afrika ein schönes Land sei», erzählt Nala lachend. Darauf erwiderte sie, Afrika sei ein Kontinent mit 55 Ländern. Ihre Eltern stammen aus Somalia, ganz im Osten von Afrika. Der 85-jährige Bewohner winkte ab und meinte, dass diese afrikanischen Staaten doch sowieso alle gleich seien, die Bewohner «arm und hungrig». Nala schaute den Mann an und erwiderte höflich: «Die Länder von Europa sind doch auch nicht alle gleich, oder etwa schon?» Der 85-Jährige schwieg, Nala stellte ihm sein Abendessen hin und ging.
Geboren ist Nala in Lausanne, im Kanton Waadt. Ihre Eltern kommen aus der Hafenstadt Kismaayo im Süden Somalias. Vor 26 Jahren musste die Familie wegen Clan-Konflikten in die Schweiz flüchten. Die ersten Jahre verbringt Nala mit ihren Eltern und zwei Geschwistern in Lausanne. Dann zieht die Familie nach Solothurn, wo Nala die Ausbildung zur Pflegefachfrau absolviert. Die heute 24-Jährige arbeitet nun schon seit fünf Jahren in einem Alterswohnheim in Solothurn.
«Ich verliess das Zimmer der Bewohnerin und weinte eine halbe Stunde auf der Toilette.»
In ihrer Schulzeit musste sich Nala selten mit Rassismus auseinandersetzen. Während ihrer Ausbildung im Alterswohnheim änderte sich dies. «Ich war die erste Schwarze Pflegefachfrau im Heim», so Nala. Viele der Bewohnerinnen und Bewohner seien überfordert damit gewesen. Rassistische Bemerkungen habe sie besonders in den ersten Arbeitstagen häufig gehört. «Als ich eine Bewohnerin ins Bett brachte und das Zimmer verlassen wollte, rief diese: ‹Mein Nachbar war auch ein N****!›», erinnert sich Nala. Sie erklärte der 79-jährigen Frau, dass der Ausdruck diskriminierend und beleidigend sei, auch wenn er früher üblich gewesen war. Es war Nalas zweiter Arbeitstag und die Aussage habe sie tief getroffen. «Ich verliess das Zimmer der Bewohnerin und weinte eine halbe Stunde auf der Toilette», sagt sie.
Gleich von Beginn an wehrt sich Nala gegen die Äusserungen und erntet deswegen verständnislose Blicke ihrer Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen. «Mir wurde gesagt, dass ich es nicht persönlich nehmen solle, es seien doch alte Menschen, die nicht wüssten, was sie sagen.» Als sie ihrem Chef von rassistischen Situationen am Arbeitsplatz erzählt, schlägt dieser vor, die Patientinnen und Patienten unter dem Pflegefachpersonal auszutauschen. «Das war für mich absolut keine Lösung. Man muss die Leute konfrontieren, und sich nicht ihrem rassistischen Verhalten anpassen», erklärt Nala.
«Ich musste einem Bewohner fünf Wochen klar machen, dass ich keine Reinigungskraft bin.»
Da Nala von ihrem Chef und den Kolleginnen und Kollegen wenig Unterstützung erhält, versucht sie selbst gegen die Diskriminierung anzukämpfen. «Es ist wichtig, sich immer und immer wieder zu wehren, egal wie alt die Menschen sind.» Für Nala ist klar, dass das Alter keine Entschuldigung für rassistisches Verhalten ist. «Ich werde bei rassistischen Bemerkungen nicht wütend, aber ich erkläre den Leuten, dass ihre Aussagen diskriminierend und verletzend sind», sagt sie. «Auch wenn die Bewohner teilweise schon sehr alt sind und Begriffe wie N**** früher üblich waren, will ich das nicht akzeptieren», erklärt Nala.
Bei den Bemerkungen und Äusserungen im Alterswohnheim handle es sich mehrheitlich um Alltagsrassismus, laut Nala unbewusst rassistische Annahmen. So wird die 24-Jährige oft für eine Reinigungskraft gehalten. «Ich musste einem Bewohner fünf Wochen lang klar machen, dass ich eine Pflegefachfrau und keine Reinigungskraft im Alterswohnheim bin. Er wollte es mir einfach nicht glauben.» Auch die Frage, woher sie denn ursprünglich komme, muss sich Nala häufig anhören. «Ich bin Schweizerin, ich bin da geboren und aufgewachsen. Ich ging hier zur Schule und spreche perfekt Schweizerdeutsch und Französisch», erzählt sie. Natürlich habe sie eine Verbindung zu Somalia, da ihre Eltern von dort stammen. «Doch ich komme aus der Schweiz, auch ursprünglich!».
«Ich komme aus der Schweiz, auch ursprünglich!»
Solche Formen von Alltagsrassismus nimmt Nala zwar nicht als besonders beleidigend wahr, trotzdem stört es sie, sich ständig verteidigen, beweisen oder erklären zu müssen. Vor allem in den ersten Monaten im Alterswohnheim erlebte Nala oft ein Gefühl der Nichtzugehörigkeit. Viele Bewohnerinnen und Bewohner sprachen sie auf Hochdeutsch an. «Wenn ich dann auf Schweizerdeutsch antwortete, zuckten sie zusammen und waren verwirrt.»
Besonders tief getroffen habe sie eine Aussage eines 76-jährigen Bewohners. Nala war gerade dabei, ihm vor einem Spaziergang die Schuhe zu binden, als dieser zu ihr sagte: «So wie du vor mir kniest und meine Schuhe bindest, erinnerst du mich an eine Sklavin aus Afrika.» Diese Aussage konnte Nala nicht so schnell verdauen. Dass es immer noch Leute gebe, die beim Anblick von Schwarzen Menschen an Sklaven denken, findet sie beängstigend. «Ich musste mir schon viele diskriminierende Äusserungen anhören, aber als Sklavin bezeichnet zu werden, tat echt weh.»
«Als Sklavin bezeichnet zu werden, tat echt weh.»
Was Nala an ihrem Arbeitsplatz fehlt, sind konkrete Lösungsansätze für den Umgang mit Rassismus. Inzwischen bekäme sie zwar mehr Unterstützung von ihrem Chef und den restlichen Mitarbeitenden, doch der Handlungsbedarf sei gross. «Es gibt immer noch Leute am Arbeitsplatz, die davon ausgehen, dass es im Alterswohnheim keinen Rassismus gibt», erzählt Nala. Anstatt die Bewohnerinnen und Bewohner zu konfrontieren, schauen viele einfach weg und akzeptieren diskriminierende Aussagen. «Das muss sich dringend ändern», sagt die 24-Jährige.
Nala erzählt, dass nicht alle Bewohnerinnen und Bewohner ihr gegenüber kritisch oder rassistisch waren, als sie neu im Alterswohnheim zu arbeiten begann. So sagte eine 88-jährige Bewohnerin zu Nala, dass sie es eine Bereicherung finde, Menschen aus verschiedenen Kulturen im Alterswohnheim zu haben. «Natürlich hat sie mich mit dieser Aussage als eine Frau aus einer anderen Kultur bezeichnet, obwohl ich, wie sie selbst, Schweizerin bin. Doch finde ich ihre Botschaft dahinter schön», sagt Nala. Es gebe auch viele Bewohnerinnen und Bewohner, die gern mehr über Somalia und die Kultur dort erfahren möchten. «Man merkt, dass ein Interesse besteht, sich über verschiedene Kulturen zu unterhalten.»
«Man merkt, dass ein Interesse besteht, sich über verschiedene Kulturen zu unterhalten.»
Inzwischen kennen die meisten Bewohnerinnen und Bewohner des Alterswohnheims Nala gut und mögen sie sehr. Ihre «Aufklärungsarbeit» habe Blüten getragen. Es gebe vereinzelt Personen, die immer noch Mühe mit ihrer Hautfarbe haben. Doch auch bei diesen gibt Nala nicht auf. Sie pflegt sie weiterhin und geht ihnen nicht aus dem Weg. Bei rassistischen Bemerkungen bewahre sie Ruhe und erkläre immer und immer wieder, was der Unterschied zwischen ihr und ihren anderen Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen sei: Absolut keiner.
