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NGOs und Medien über die GSI-Bespitzelung

Der Blick nennt es einen Hilferuf, Menschenrechtsorganisationen sprechen von einem Einschüchterungsversuch: Ein Bespitzelungsaufruf der Gesellschaft Schweiz-Israel (GSI) sorgt für hitzige Diskussionen. Schweizer Medienhäuser und NGOs nehmen Stellung zu den Antisemitismusvorwürfen.

«Wir brauchen eure Mithilfe», heisst es in einer Mail, die GSI-Zentral­se­kretär Walter L. Blum Anfang Mai an rund 2000 Mitglieder verschickte. Denn: Laut Blum habe die GSI seit dem 7. Oktober «zwei betrüb­liche Erkennt­nisse» gewonnen. Zum einen gebe es «viel mehr Organi­sa­tionen, die Solida­rität mit Palästina zum Zweck haben, als bisher bekannt». Zum anderen habe die Solida­rität oft einen «antise­mi­ti­schen Einschlag». 

Blum zieht aus den völlig unbegrün­deten «Erkennt­nissen» folgende Bilanz: Alle Organi­sa­tionen und Firmen, die sich in den Augen der GSI mit dem «gegne­ri­schen Lager» solida­ri­sieren, sollen «syste­ma­tisch beobachtet» werden. Dazu werde nach «Aktivist*innen» gesucht, die bereit sind, die «gegne­ri­schen Akteure syste­ma­tisch zu monitoren» – im Gegenzug für eine «pauschale, noch zu bestim­mende Entschädigung».

Screen­shots der E‑Mail liegen baba news vor.

Unter Verdacht: Soziale Medien, Univer­si­täten, Bundes­ver­waltung, UNO

Eine Liste des «gegne­ri­schen Lagers» liefert Blum gleich mit. Er zählt alle grossen sozialen Medien­platt­formen sowie alle Schweizer Univer­si­täten auf. Die GSI will zudem die Bundes­ver­waltung monito­ri­sieren, insbe­sondere «Teile des EDA und EDI». Hinzu kommen der Weltge­betstag, sämtliche Uno-Insti­tu­tionen, Peace Watch Switz­erland und das Rote Kreuz. Obendrein zählt Blum 26 Mitglieds­or­ga­ni­sa­tionen von «Alliance Sud» und dem «Forum für Menschen­rechte in Israel/Palästina» auf. Darunter renom­mierte NGOs wie Amnesty, Caritas und Helvetas.

Doch damit nicht genug. Selbst kulturell hat die GSI etwas auszu­setzen. So gehören auch Theater und Filmpodien zum «gegne­ri­schen Lager». Welche genau, ist nicht spezi­fi­ziert – offenbar bezieht sich Blum auf alle. Es stellt sich schon fast die Frage: Wer steht eigentlich nicht auf der Liste?

Alle Medien­kon­zerne aufge­listet – ausser NZZ und Ringier

Inter­essant ist hierbei der Blick auf die Medien: So ziemlich alle grossen Schweizer Medien­häuser – darunter CH-Media, SRG, Tamedia, WOZ sowie welsche und Tessiner Medien – werden von der GSI an den Pranger gestellt. Alle, bis auf Ringier und NZZ. Aber wieso? Sitzen die GSI-Mitglieder hier ohnehin in den eigenen Reihen? Fragen dazu, was die Medien­häuser zur Ausnahme macht, möchte die GSI offenbar nicht kommen­tieren. Eine Anfrage von baba news blieb unbeantwortet. 

Fest steht aber: Die NZZ beweist regel­mässig Israel-Treue. Zahlreiche Hetzkam­pagnen gegen pro-palästi­nen­sische Stimmen wurden bereits betrieben. Und auch der Blick, welcher zum Ringier-Verlag gehört, sprach Israel am 15. Oktober in einem Artikel von Fabian Eberhard, dem stell­ver­tre­tenden Chef des Sonntags­blicks, seine Solida­rität zu. In Sachen GSI-Monito­ri­sierung kommt diese Israel-Treue den Medien­häusern offenbar zugute.

20 Minuten kommen­tiert Vorwürfe nicht, SRG findet Bespit­zelung okay

Überra­schend ist hingegen: Der Tamedia-Konzern, dem 20 Minuten gehört, steht auch auf der GSI-Liste. Dabei hat auch 20 Minuten pro-israe­lische Artikel verfasst und war unter anderem an Hetzkam­pagnen gegen die Uni Bern und die ETH Zürich beteiligt. Auf die Anfrage von baba news will sich die Zeitung zwar nicht zu dem GSI-Aufruf äussern. Dafür beteuert Tamedia, ihre Titel stünden für «einen profes­sio­nellen, unabhän­gigen Journa­lismus», welcher «zur freien Meinungs­bildung» beitragen würde. Die Antise­mi­tis­mus­vor­würfe lehnt der Konzern ab: «Antise­mi­tische, sowie alle anderen Arten von gesetz­wid­rigen Aussagen, haben in unseren Inhalte keinen Platz». Ob Tamedia die Motori­sierung für angemessen hält, blieb unbeantwortet.

SRG sieht indes kein Problem mit der Überwa­chung. «Es steht jeder Organi­sation frei, unsere Bericht­erstattung zu verfolgen», heisst es auf Anfrage. Weiter betont die SRG, sie unter­stütze «die demokra­tische Meinungs­bildung» und infor­miere «ausge­wogen» über Gescheh­nisse im In- und Ausland. Bei gesell­schaftlich und politisch «heiklen Themen» gilt aller­dings: «Wer an diesen arbeitet, muss die direkten Vorge­setzten darüber infor­mieren. Bei Geschichten, die SRF in eine rufschä­di­gende Kontro­verse verwickeln könnten, sind zudem zwingend die Abtei­lungs­leitung zu infor­mieren und die Chefre­dak­tionen zu konsultieren.»

CH Media hat sich derweil nicht zu den GSI-Vorwürfen geäussert. «Uns sind keine derar­tigen Vorwürfe bekannt», hiess es auf Anfrage. Dieselbe Antwort lieferten auch das EDA und EDI.

«Der Aufruf zielt darauf ab, die Medien und NGOs in der Schweiz einzuschüchtern»

Klare Worte zu den GSI-Anschul­di­gungen findet dafür das NGO-Netzwerk Alliance Sud. Im Namen seiner Mitglieder, zu denen unter anderem Caritas und Helvetas gehören, wehrt sich die Organi­sation gegen die Anschul­di­gungen: «Die Vorwürfe sind absurd. Wir sind gegen jegliche Gewalt und Diskri­mi­nierung.» Alle Mitglieder würden sich demnach «auf beiden Seiten für Frieden einsetzen». So sei beispiels­weise auch der Hamas-Angriff vom 7. Oktober verur­teilt worden.

Dass das GSI Alliance Sud dennoch überwacht, hält die Organi­sation für besorg­nis­er­regend: «Der Aufruf ist demokra­tie­po­li­tisch höchst proble­ma­tisch und zielt darauf ab, die Medien und NGOs in der Schweiz einzu­schüchtern. Er wird die Schweizer Zivil­ge­sell­schaft aber nicht davon abhalten, sich weiterhin für den Schutz und für die Unter­stützung der Zivil­be­völ­kerung zu äussern.»

«Wenn Kritik an israe­li­scher Politik als Antise­mi­tismus definiert wird, muss Israel keine Verant­wortung für seine Politik übernehmen.»

Auch «Jüdische Stimme für Demokratie und Gerech­tigkeit in Israel/Palästina» (JVJP) bezieht Stellung zu den Vorwürfen – und ist besorgt über den «zunehmend infla­tio­nären Vorwurf des Antise­mi­tismus im Zusam­menhang mit Kritik an der israe­li­schen Politik». Gemäss Präsident Jeremy Hellmann würde der «Raum für legitime Kritik» dadurch stetig schrumpfen. Er betont: «Wenn Kritik an israe­li­scher Politik als Antise­mi­tismus definiert wird, muss Israel keine Verant­wortung für seine Politik übernehmen.»

Hellmann beteuert weiter­gehend, dass Antise­mi­tismus zwar sehr wohl verbreitet sei. «Absurd ist es aber, Kritik an der israe­li­schen Politik und Besatzung sowie an Menschen­rechts­ver­let­zungen und Diskri­mi­nie­rungen mit dem Vorwurf des Antise­mi­tismus zu kontern.» Antise­mi­tisch liege vielmehr vor, wenn «Stereo­typen und Imagi­na­tionen verwendet werden, die als typisch jüdisch gelten».

Einen Grund für die Instru­men­ta­li­sierung von Antise­mi­tismus sieht Hellmann darin, dass es keine «allgemein akzep­tierte» Antise­mi­tismus-Definition gibt. Grossen Einfluss spiele dafür die Definition der Inter­na­tional Holocaust Remem­brance Alliance – zum Bedauern von Hellmann: «Sie betont israel­be­zo­genen Antise­mi­tismus und ist zu einem politi­schen Mittel geworden, Kritik am Staat Israel und dessen Politik dem General­ver­dacht des Antise­mi­tismus zu unterstellen.»

Syste­ma­ti­sches Monitoring in Israel verbreitet

Hellmann ist aber nicht nur über die fälsch­lichen Antise­mi­tismus-Vorwürfe besorgt – sondern auch über die GSI-Überwa­chungs­po­litik. Solch «syste­ma­ti­sches Monitoring von Anders­den­kenden» werde in Israel gemäss dem JVJP-Präsident von recht­ste­henden Gruppie­rungen und Insti­tu­tionen schon «seit mehreren Jahren prakti­ziert». Beispiels­weise überwache die Organi­sation NGO Monitor «alle NGOs, die sich im Nahost­kon­flikt für Menschen­rechte einsetzen». Der renom­mierten Menschen­rechts­or­ga­ni­sation Amnesty wirft sie etwa vor, «syste­ma­tisch die Dämoni­sierung Israels und Antise­mi­tismus» zu fördern.

«Dass die GSI nun auf diesen Zug aufspringt, ist sehr bedenklich», findet Hellmann. «Es verhindert eine offene Debatte und fördert die Polari­sierung. Aus Gründen der Trans­parenz sind wir daran inter­es­siert, die Namen jener zu erfahren, die den Auftrag der GSI ausführen, und wofür die Daten verwendet und an wen sie geliefert werden.» Inter­es­sieren würde dies auch baba news. Das GSI hat sich zu entspre­chenden Fragen aller­dings nicht geäussert.

Dafür gesteht GSI-Zentral­se­kretär Blum in einem Gespräch mit Tachles: «Es ist nicht neu, dass wir Insti­tu­tionen und Organi­sa­tionen, die für Palästina eintreten, beobachten.» Aber ist das alles eigentlich legal?

Daten­schutz­recht­liche Grauzone

Katja Zürcher-Mäder, Medien­spre­cherin vom Eidge­nös­si­schen Daten­schutz- und Öffent­lich­keits­be­auf­tragten (EDÖB), erklärt: «Wenn öffent­liche Stellung­nahmen von natür­lichen Personen gesammelt und in den Medien oder in sozialen Netzwerken wieder­ge­geben werden, und diese Bearbeitung von den Betrof­fenen nicht ausdrücklich untersagt wurde, liegt in der Regel keine Persön­lich­keits­ver­letzung vor.» Anders sehe es aus, wenn es um besonders schüt­zens­werte Daten geht. Dazu gehören «Daten über religiöse, weltan­schau­liche, politische oder gewerk­schaft­liche Ansichten oder Tätig­keiten». Bei der GSI dürfte es sich womöglich um genau solche Infor­ma­tionen handeln.

Für die Verar­beitung dieser Daten müssen zusätz­liche gesetz­liche Voraus­set­zungen erfüllt sein. Welche genau das sind und ob die GSI diese einhält, bleibt unklar. Zürcher-Mäder erklärt, das müsse jeweils «im Einzelfall beurteilt werden.» In einem Urteil von 2017, bei dem es um die Daten­sammlung der Money­house AG ging, wurde aber beispiels­weise festge­halten, dass «aus unter­schied­lichen Quellen stammende Perso­nen­daten nicht in belie­bigem Umfang gespei­chert, verknüpft und repro­du­ziert werden dürfen.»

Weiter­gehend gilt: Betroffene Personen haben in jedem Fall ein Recht auf Einsicht in die Daten, welche über sie gesammelt werden. Zudem hat jede*r das Recht zu erfahren, ob Daten über die eigene Person gespei­chert werden. Der oder die Datensammler*in kann sich gemäss Zürcher-Mäder sogar «strafbar machen, wenn er oder sie vorsätzlich eine falsche oder unvoll­ständige Auskunft erteilt.» 

Blum sagt gegenüber «Le Temps», diesbe­züglich habe er sich noch keine Fragen gestellt. Der NZZ erklärt er weiter­gehend: «Wir schleusen niemanden in proble­ma­tische Organi­sa­tionen ein und verwenden nur öffentlich verfüg­bares Material.» Ziel sei, «öffent­liche Äusse­rungen zu Israel im Auge zu behalten» und ein Gespräch zu suchen, wenn man auf Inhalte stosse, die «eine Reaktion vom GSI erfordern». Insbe­sondere dann, wenn es zu «Diffa­mie­rungen von Israel» kommt, müsse «inter­ve­niert» werden. Was in den Augen von Blum als «Diffa­mierung» gilt, bleibt unklar. Mit Hinsicht auf die lange Liste der «gegne­ri­schen Akteure» scheint die Messlatte aller­dings niedrig.

Von M. Müller

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  1. Sehr infor­mativ, vielen Dank für die tolle Aufar­beitung. Es ist erschreckend was sich das GSI erlaubt, die sollte man gsnz genau beobachten, ob ed wirklich rechtens ist. Glaubt niemand im Ernst, dass da alles mit legalen Dingen zu geht, oder?

  2. Vielen Dank für den ausge­wo­genen Artikel. Mit dieser Aktion sollte man jetzt die GSI final wirklich nicht mehr ernst nehmen können.

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