Die UN-Generalversammlung hat am Donnerstag eine Resolution zum Genozid in Srebrenica verabschiedet. Sie führt einen weltweiten Gedenktag ein und verurteilt die Leugnung des Völkermords. In der einstigen Enklave Srebrenica wurden im Juli 1995 rund 8’000 bosniakische Männer und Buben von bosnischen Serben auf brutale Weise hingerichtet. Was der Entscheid bedeutet.
Die UN-Resolution erklärt damit den 11. Juli zum weltweiten Gedenktag an den Völkermord von Srebrenica. Das EU-Parlament hatte einen solchen Gedenktag bereits 2009 eingeführt. Weiter verurteilt sie jede Leugnung des Völkermords sowie Handlungen, die Kriegsverbrecher verherrlichen. Ein Anliegen ist auch, dass weltweit stärker über den Völkermord aufgeklärt wird, z.B. an Schulen, was momentan kaum der Fall ist.
84 Länder stimmten für die Resolution, darunter fast alle Balkanländer sowie die Schweiz. 68 Länder enthielten sich, 19 weitere stimmten dagegen, wie Serbien, China und Russland. Das mit Serbien befreundete Russland übte scharfe Kritik und bezeichnete die Resolution als «provokativen Text» der eine «Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit in Bosnien und der gesamten Region» darstelle. Da die Resolution in der Generalversammlung und nicht im UNO-Sicherheitsrat verabschiedet wurde, konnte Russland sie allerdings nicht mit einem Veto kippen.
Genozid-Leugnung durch Serbien und die «Republika Srpska»
Der bosnische Serbenführer Milorad Dodik bezeichnete die verabschiedete UN-Resolution als «inakzeptabel» und bestritt erneut, dass in Srebrenica ein Genozid stattgefunden habe. Angesichts der Enthaltung von 68 Ländern sei es eine «gescheiterte Resolution», und der Versuch, «den Serben Schuld und moralisches Scheitern aufzuerlegen», sei «nicht gelungen».
Sowohl die serbische Regierung wie auch die Regierung der bosnischen Entität «Republika Srpska» hatten bereits vor Monaten eine Kampagne gegen die UN-Resolution gestartet. In beiden Regierungen gilt die Leugnung des Genozids als Staatspolitik, obwohl dieser vom Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien wie auch vom Internationalen Gerichtshof juristisch als solcher (Genozid) eingestuft wurde.
Massenhinrichtungen, Vergewaltigungen und Vernichtungslager
Im Juli 1995 hatten bosnische Serben rund um das Gebiet Srebrenica 8’000 bosniakische Männer und Buben von den Frauen und Mädchen getrennt und innert weniger Tage massenhaft hingerichtet. Über 1000 Opfer gelten noch immer als vermisst. Die Leichen der Männer und Jungen verscharrten die Täter in Massengräbern. Um die Gräueltaten zu vertuschen, wurden die menschlichen Überreste später ausgegraben und auf rund 70 weitere Orte verteilt. Die Identifikation der Opfer muss daher noch heute oft anhand einzelner Körperteile erfolgen. Die Gräueltaten ereigneten sich unter den Augen der UNO-Schutztruppen.
I am not gonna cheer US or any European countries voting yes on the same genocide they basically ensured happened, the same genocide they allowed to happen, in the same country that they continue to appease the ethnonationalists in.
— Arnesa Buljušmić-Kustura (@Rrrrnessa) May 23, 2024
Radovan Karadžić, der damalige Führer der bosnischen Serben, sowie Ratko Mladić, der Kommandant der damaligen Bosnisch-Serbischen Armee, wurden vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien zu lebenslangen Gefängnisstrafen verurteilt.
Der Völkermord rund um Srebrenica gilt zwar als das grösste Verbrechen während des Bosnienkriegs, wie auch das grösste Verbrechen auf europäischem Boden seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Vor dem Genozid in Srebrenica fanden allerdings über drei Jahre lang zahlreiche weitere Massaker und Kriegsverbrechen in Bosnien und Herzegovina statt. So wurden Nicht-Serb*innen, hauptsächlich Bosniak*innen muslimischen Glaubens, massenhaft vertrieben, ermordet, vergewaltigt oder in Vernichtungslager gesteckt, mit dem Ziel, die Gebiete «ethnisch zu säubern» und sie später an ein «Grossserbien» anzuschliessen.
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Dabei werden in Serbien und in der «Republika Srpska» nicht nur der Völkermord sondern auch die Kriegsschuld geleugnet. So versucht Serbien den Krieg als Bürgerkrieg innerhalb Bosniens darzustellen, wo sich bosniakische und serbische Bosnier*innen bekämpft hätten – ohne eine Beteiligung Serbiens. Dabei steht die logistische und propagandistische Unterstützung der bosnischen Serben durch Serbien ausser Frage.
Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, Serge Brammertz, betonte anlässlich der Verurteilung zweier hochrangiger serbischer Beamten für Kriegsverbrechen in Bosnien, dass es sich beim Bosnienkrieg nicht um einen Bürgerkrieg, sondern um einen «internationalen Konflikt» gehandelt habe.
Serbien in der Opferrolle
Im Vorfeld der Resolution hatte der serbische Präsident Aleksandar Vučić in einem Interview behauptet, die Resolution verfolge zwei Ziele: Einerseits die «Strafe des serbischen Volkes für seine freiheitliche und unabhängige Politik», andererseits sei sie «eine Botschaft an die Muslime». Angesichts der Unterstützung Israels durch den Westen, hätte der Westen nun «andere Muslime gefunden», denen er einen Genozid eingestehen könnte, um zu zeigen, dass er «nicht grundsätzlich etwas gegen Muslime hätte».
«Leider hat es Serbien verpasst, für die Resolution zu stimmen»
Vor dem Hintergrund, dass sich gerade Deutschland und die USA für eine Annahme der Srebrenica-Resolution stark machten, im Falle Gazas aber eine bedingungslose Solidarität mit Israel an den Tag legen, erscheint Vučićs Annahme nicht einmal so abwegig. Politisches Kalkül delegitimiert jedoch weder die Einschätzung der Richter, dass es sich im Falle Srebrenica um Völkermord handelt, noch dass es seit Oktober 2023 in Gaza, gemäss Internationalem Gerichtshof, «plausibel» erscheint, dass Israel einen Genozid an der palästinensischen Bevölkerung verübt.
Und während Vučić von einer Instrumentalisierung der Srebrenica-Resolution durch westliche Staaten spricht, spannt er selbst mit israelischen Historikern zusammen, wie etwa Efraim Zuroff, um sie der Welt erklären zu lassen, dass die Genozid-Einstufung im Falle Srebrenica ungültig sei.
Dass es sich auch hier um politisches Kalkül handelt, einerseits zugunsten Serbiens, um die eigenen Verstrickungen am Völkermord von Srebrenica zu leugnen, andererseits zugunsten Israels, um nicht für die Gräueltaten in Gaza zur Verantwortung gezogen zu werden, wird im Interview mit Efraim Zuroff deutlich. So macht der israelische Historiker in «The Jerusalem Post» keinen Hehl daraus, dass er befürchtet, eine «Verwässerung des Begriffs» könne dazu führen, dass der Begriff, falls er im Falle Srebrenica in Anwendung kommt, was er gemäss Internationalem Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien tut, sich ebenso gegen Israels Kriegsführung in Gaza richten könnte.
Immer wieder hatte Vučić auch behauptet, dass Serb*innen mit der Resolution kollektiv als Volk des Völkermords beschuldigt werden sollen. Tatsächlich wird Serbien im Resolutionstext aber nicht einmal namentlich erwähnt.
Denis Zvizdić, der stellvertretende Vorsitzende des bosnischen Parlaments, betonte, dass es sich bei der UN-Resolution um eine «ausserordentlich wichtige Entscheidung» handle, nicht nur für Bosnien und Herzegowina, «sondern auch für die Region des westlichen Balkans, Europa und die ganze Welt». Leider, so Zvizdić weiter, habe Serbien die Chance verpasst, für die Resolution zu stimmen und die lang erwartete Katharsis (Anmerkung der Redaktion: Befreiung von inneren Konflikten und verdrängten Gefühlen) zu erreichen, wodurch ein ernsthafter Prozess der Versöhnung in der gesamten Region hätte beginnen können.
Von Albina Muhtari