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Was die Schweiz aus der Wahl in Deutschland lernen sollte

Die Bundestagswahl in Deutschland ist vorbei; sie endet mit einer Verdopplung des Wähleranteils der rechtsextremen AfD. Dies verdankt die AfD nicht nur ihrem eigenen Wahlkampf – der Fokus der übrigen Parteien und der Medien auf die Migrationspolitik hat einiges zum Wahlerfolg beigetragen. 

Der Wahlerfolg der AfD hatte sich in den letzten Wochen abgezeichnet, befeuert wurde er von einer scheinbar endlosen Migra­ti­ons­de­batte. Es ist das Kernthema der AfD, die unter dem rechts­extremen Kampf­be­griff «Remigration» eine massive Verschärfung der Migra­ti­ons­po­litik fordert.

Das Thema Migration überschattete sämtliche Talkshow­runden und Podiums­dis­kus­sionen. Der Konsens praktisch aller Parteien war dabei einhellig: Der Wahlerfolg der AfD sollte durch eigene Forde­rungen nach einer Verschärfung der Migra­ti­ons­po­litik verhindert werden.

Plötzlich forderte also nicht nur die konser­vative CDU/CSU gross­flä­chige Grenz­kon­trollen, Zurück­weisung von Geflüch­teten an der Grenze oder Abschie­bungen in unsichere Herkunfts­länder – vermeintlich linke Parteien wie SPD und Grüne zogen nach, zum Teil gegen den Willen der eigenen Basis.

Was diese teilweise sogar völker­rechts­widrige Kursän­derung in der Migra­ti­ons­po­litik bewirkte, zeigte sich am letzten Sonntag. Die Nachwahl­be­fra­gungen von infratest dimap ergaben betreffend AfD ein deutliches Bild. Obwohl mit der AfD auch fast alle anderen Parteien eine Verschärfung der Migra­ti­ons­po­litik gefordert hatten, verlor die AfD keine nennens­werten Wähler­an­teile an eine der anderen Parteien.

Die von allen Parteien in den Fokus gestellte Verschärfung der Migra­ti­ons­po­litik hat am Ende nur einer einzigen Partei geholfen – der AfD selbst.

Im Gegenteil: Es wechselten bemer­kenswert viele bisherige CDU/CSU- und SPD-Wähler*innen zur AfD (830’000 bzw. 630’000 Wähler*innen). Die von allen Parteien in den Fokus gestellte Verschärfung der Migra­ti­ons­po­litik hat somit am Ende nur einer einzigen Partei geholfen – der AfD selbst.

Diese Erkenntnis sollte auch eine Warnung für die Schweizer Parteien sein. Insbe­sondere FDP, GLP und Die Mitte fordern derzeit schnellere Asylver­fahren, die Einschränkung des Famili­en­nachzugs oder konse­quentere Abschie­bungen und nähern sich dadurch immer mehr der restrik­tiven Migra­ti­ons­po­litik der SVP an.

Selbst SP-Bundesrat Beat Jans führte unter dem Druck bürger­licher Kreise verschärfte Massnahmen im Asylbe­reich ein. Wie das Beispiel Deutschland gerade zeigt, helfen solche migra­ti­ons­po­li­ti­schen Kursän­de­rungen aber nur einer Partei, nämlich der mit den extremsten Forde­rungen – die Menschen wählen dann doch lieber das «Original».

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In der Schweiz profi­tiert seit Jahren nur die SVP von der ununter­brochen geführten Migra­ti­ons­de­batte. Sie bewirt­schaftet dieses Thema auch derzeit wieder mit ihrer sogenannten «Grenz­schutz-Initiative», gemäss der nach Erreichen einer Obergrenze sämtliche Geflüchtete, unabhängig vom Herkunftsland, zurück­ge­wiesen werden sollen. Eine völker­rechts­kon­forme Auslegung der Initiative ist kaum möglich.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist die mediale Bericht­erstattung. Die Medien tragen einen grossen Teil zum Erfolg der AfD in Deutschland, aber auch der SVP in der Schweiz bei. So berich­teten die deutschen Medien vor der Bundes­tagswahl ausführlich über einzelne terro­ri­stische Attentate migran­ti­scher Personen (München, Mannheim, Magdeburg), häufig in boule­var­desker Aufma­chung, und schürten damit Hass gegen Muslim*innen – selbst wenn diese Opfer oder gar Ziel eines Attentats waren (wie z.B. beim Täter von Magdeburg, der sich als «Islam­kri­tiker» bezeichnete).

In der Schweiz sieht die Bericht­erstattung kaum anders aus, gerade Zeitungen wie NZZ oder Sonntags­zeitung bewirt­schaften die Migra­ti­ons­the­matik ausführlich, insbe­sondere wird regel­mässig vor den negativen Folgen der Zuwan­derung gewarnt, während die positiven Folgen meist verschwiegen werden. Der Blick und 20 Minuten, die ihre Artikel in der Regel ohne Paywall anbieten, sind auf Klicks angewiesen und berichten entspre­chend ausgiebig über Attentate, da diese Artikel häufig angeklickt werden.

In Deutschland gibt es im Durch­schnitt täglich einen Femizid, und in der Schweiz machen Femizide einen Drittel aller verübten Morde aus.

Dagegen wird deutlich zurück­hal­tender von Gewalt­taten berichtet, wenn der Täter typischer­weise keinen Migra­ti­ons­hin­ter­grund hat. Wie vor Kurzem im Zusam­menhang mit dem Fall in Örebro gesehen, wird der Täter häufig durch eine psychische Krankheit entschuldigt oder als Einzelfall dargestellt.

Auch Femizide finden regel­mässig entweder keine mediale Aufmerk­samkeit oder werden verharm­losend darge­stellt («Famili­en­drama»). In Deutschland gibt es im Durch­schnitt täglich einen Femizid, und in der Schweiz machen Femizide einen Drittel aller verübten Morde aus. Die Gefahr, Opfer eines Femizids zu werden, ist für Frauen somit um ein Vielfaches grösser als die Gefahr eines terro­ri­sti­schen Anschlags. Die unter­schied­liche Bericht­erstattung löst bei den Menschen aller­dings ein falsches (Un-) Sicher­heits­gefühl aus.

Zusam­men­fassend haben sowohl Politik als auch die Medien einen erheb­lichen Anteil am derzei­tigen Aufwind der rechts­extremen AfD. Obwohl ähnliche Entwick­lungen in der Schweiz bereits durch­laufen wurden, sollte die vergangene Bundes­tagswahl eine Warnung für die Schweiz sein, wie auf die restriktive Migra­ti­ons­po­litik der SVP zu reagieren ist. Entscheidend wird in Zukunft sein, dass sich Medien und Politik im Agenda-Setting nicht von der extremen Politik der SVP beein­flussen lassen, sondern eigene Themen in den Vorder­grund stellen.

 

Von Nico Zürcher

 

Gerade im Hinblick auf die Erstarkung demokra­tie­feind­licher Kreise in Europa und der Schweiz ist eine Bericht­erstattung auf Grundlage der Menschen­rechte wichtig. Diese möchten wir bei baba news fördern. Du willst uns dabei unter­stützen? Dann werde Member und mache diese Arbeit möglich. Insgesamt brauchen wir 4’000 Member-Abos, um baba news nachhaltig finan­zieren zu können. 

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