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Weshalb SRFs «Tschugger» antimuslimischen Rassismus begünstigt

In der neuen Staffel der Schweizer Erfolgsserie «Tschugger» wird ein muslimisches Kindermädchen zuerst des Terrorismus verdächtigt, und später als Diktatorentochter entlarvt, die nun vom NDB beschützt wird, weil sie ihren Vater kritisierte. Dieser schickt blutrünstige Hijabis, die Nadira zurückbringen sollen. Warum die Serie antimuslimischen Rassismus begünstigt. 

Die SRF-Krimi­ko­mödie Tschugger feiert mit der vierten Staffel das Finale. Das Lachen über die Urkomik der ersten drei Staffeln zog sich durch die Wohnzimmer in der gesamten Schweiz. Nun ist aber mit der finalen Staffel der musli­mi­schen Bevöl­kerung das Lachen sprich­wörtlich im Hals steckengeblieben.

Terro­rismus, Diktatur und schiess­wütige Muslime – eine Welt voller Stereotype und ein Moment, der der musli­mi­schen Gemein­schaft vor Augen führt, wie einseitig Muslim*innen in der Gesell­schaft wahrge­nommen und darge­stellt werden. Dabei war da noch diese Hoffnung, dass eine Schweizer Produktion wie Tschugger nicht auf oberfläch­liche Narrative der bösen unzivi­li­sierten Muslime, wie sie seit dem Terror­an­schlag vom 11. September allzu oft aus der Ecke Hollywood kamen, einsteigen würde. Doch es kam anders.

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Auf der Spuren­suche entdecken wir in der zweiten Folge der vierten Staffel ein episches Eintauchen in das Häuser­gewirr einer alten orien­ta­li­schen Medina. Das hypno­ti­sie­rende Labyrinth aus Häusern und Gässchen zeichnet ein maleri­sches Bild aus der Vogel­per­spektive. Dann folgt ein harter Schnitt, und sogleich sieht man einen bärtigen Mann mit einer musli­mi­schen Gebets­mütze, der verzweifelt die Augen schliesst.

Tarantino und die musli­mi­schen Nazis – was die zweite Folge von Tschugger vermittelt

Es klopft an der Tür, die Sekunden später aufge­treten wird, und es erscheinen drei musli­mische Frauen mit Kopftü­chern, zwei davon in Sprin­ger­stiefeln und schwer bewaffnet. Die Anfüh­rerin nimmt den Mann ins Verhör, der Mann bietet den Frauen in Hochara­bisch Tee an, im Hinter­grund schallt der islamische Gebetsruf.

Muslimischen Frauen mit Kopftuch und Springerstiefeln, sowie Gewehre befragen einen Mann, der das Mädchen Nadira unter dem Fussboden versteckt hält. Er bietet der Anführerin und ihren Wachen infolge des Verhörs Tee an.

Die Paral­lelen zu dem Tarantino-Auftakt im Film Inglou­rious Basterds sind unüber­sehbar. So betritt dort ein SS-Offizier unter dem Namen «Juden­jäger» eine Hütte, und sucht nach jüdischen Geflüch­teten, die sich darin verstecken sollen. Auch bei Tschugger versteckt sich jemand unter der Fussdiele: Nadira, das Kinder­mädchen des Polizisten Pirmin, mit einem Kopftuch und angst­er­fülltem Gesicht. Die bewaff­neten Frauen und deren Anfüh­rerin finden Nadira jedoch nicht und ziehen ab.

Nach längerem Verhör und einem angebotenen Glas Milch des französischen Bauern, weiss der SS-Mann mit dem Spitznamen «Judenjäger», wo sich die jüdischen Geflüchteten verstecken. Er bittet die Wachen mit Spingerstiefeln auf den Fussboden zu schiessen.

Die Szene wechselt erneut. Diesmal sieht man Nadira ohne Kopftuch, in Jeans­jacke und Jeanshose, wie sie den kleinen Sohn von Polizist Pirmin auf einer Schaukel anschubst. Etwas später in der gleichen Folge wird sie von den Polizisten Pirmin und Bax beobachtet, und dem IS, Al-Qaida und Boko Haram zugeordnet, während sie auf Arabisch in ein Telefon spricht.

Sind arabisch­spre­chende Menschen automa­tisch Terror­or­ga­ni­sa­tionen zuzuordnen?

Wie sollen Muslime nun diese Szenen verstehen? Sind die musli­mi­schen Frauen mit Hijab und Gewehr die neuen SS-Nazis? Ist Nadira dem Kopftuch­zwang in einer musli­mi­schen Diktatur entflohen und geniesst nun die zivili­sierte Freiheit in Jeans­jacke und Hose? Sind arabisch­spre­chende Menschen automa­tisch Terror­or­ga­ni­sa­tionen zuzuordnen?

Polizist Pirmin Lötscher vermutet, dass Nadira der Al-Qaida angehört, während sie mit ihrem Onkel telefoniert und Arabisch spricht.

Schiess­wütig, emoti­onslos und kalt – die Killerin mit dem wehenden Kopftuch

Die Antwort folgt in der vierten Episode der finalen Staffel, in der sich die Anfüh­rerin aus der Hausdurch­su­chung plötzlich im Oberwallis befindet. In der einen Hand hält sie eine Pistole, im anderen Arm hält sie Nadira, die darum fleht, sie loszu­lassen. Zuvor hatte sich die Killerin ein Auto bei einem Händler geliehen, den sie aller­dings mit einem Kopfschuss erledigte, nachdem sie sich auf Arabisch über sein Mainsplaining aufgeregt hatte.

Zurück zur Entfüh­rungs­szene: Dort erscheinen die Polizisten Bax und Pirmin sowie die Fedpol-Agentin Regina mit einem Polizeiauto. Die musli­mische Killerin schiesst gleich­gültig auf die drei, während ihr Kopftuch durch den Wind weht. Bax verwechselt dann noch das gespro­chene Hochara­bisch mit Rätoro­ma­nisch, was verständlich ist, denn das im Film gespro­chene Hochara­bisch wird höchstens an Uni-Vorle­sungen und kaum im Alltag verwendet, da jedes arabische Land seinen eigenen Dialekt hat. Aber das wäre wohl schon wieder zu tiefgründig für eine Tschugger-Serie, die dem Publikum soeben ein weiteres Stereotyp bestätigt: Die böse musli­mische Frau mit dem Kopftuch ist eine kaltblütige Killerin, die gefühllos arme, wehrlose musli­mische Mädchen in musli­mische Dikta­turen zurück­be­fördern will.

Die blutrünstige Killerin mit Kopftuch will Nadira zurück in eine muslimische Diktatur entführen und versucht alle zu töten, die ihr in die Quere kommen.

Wie reagieren Zuschauer*innen nun, wenn sie nach diesem Meisterwerk an Tiefgrün­digkeit am nächsten Tag eine musli­mische Frau mit Kopftuch im Bus sehen? Welche Gefühle werden nach dieser stereo­ty­pen­reichen Serie geweckt?

Zahlen sprechen für sich

Fälle von physi­schen und psychi­schen Übergriffen gegen Muslim*innen, sowie Fälle von antimus­li­mi­schem Rassismus haben sich im letzten Jahr verdrei­facht. Die Verschärfung des Nahost­kon­flikts bewirkte nicht nur einen Anstieg von Antise­mi­tismus, sondern auch einen Anstieg von Muslim­feind­lichkeit. Besonders betroffen sind Frauen mit Kopftuch, da ihre Religi­ons­zu­ge­hö­rigkeit sichtbar ist. Es wurden bereits Leute aus dem öffent­lichen Verkehr ausge­schlossen, bedroht, beschimpft und manchmal sogar tätlich angegangen. Ein abgetrennter Schwei­nekopf wurde vor eine Basler Moschee gelegt.

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Mit der Verbreitung oberfläch­licher Stereotype werden antimus­li­mische Ressen­ti­ments geschürt und zemen­tiert. Kopftuch­trä­ge­rinnen in der Schweiz sind täglich Diskri­mi­nie­rungen und Misstrauen ausge­setzt. Sei es bei Sicher­heits­kon­trollen am Flughafen in Zürich, wo sie trotz unauf­fäl­ligen Verhaltens oder nicht ausge­löstem Signal des Bodyscanners immer wieder abgetastet werden, oder im alltäg­lichen Kontakt mit Menschen, die oft lediglich durch Medien­be­richte ein Bild von Muslim*innen haben und selten persön­liche Erfah­rungen mit ihnen. Dies sind allseits bekannte Geschichten, die in der musli­mi­schen Community die Runde machen. Tragisch, dass dies mittler­weile teilweise als selbst­ver­ständlich hinge­nommen wird.

Serien und Filme, die stereo­ty­pische Darstel­lungen von Muslim*innen zeigen, können tiefgrei­fende Auswir­kungen auf den Alltag haben.

In einer Zeit wachsender gesell­schaft­licher Spannungen und zuneh­mender Diskri­mi­nierung gegenüber Muslim*innen stellen sich viele von ihnen die Frage, wie sie von anderen wahrge­nommen werden, wenn sie ihnen begegnen. Denken die Menschen vielleicht an eine Serie wie Tschugger, und assozi­ieren Muslim*innen mit Gefahr oder Rückstän­digkeit? Diese ständige Unsicherheit und die Reflexion darüber, wie Muslim*innen in der Gesell­schaft gesehen werden, sind emotional belastend und für viele Betroffene schwer zu beschreiben.

Was hat das mit Tschugger zu tun?

Serien und Filme, die stereo­ty­pische Darstel­lungen von Muslim*innen zeigen, können tiefgrei­fende Auswir­kungen auf deren Alltag haben. Wenn eine Bewerbung von einer Frau mit Kopftuch auf dem Tisch liegt, und der Perso­nal­ent­scheider ein Fan von Produk­tionen wie Tschugger ist, stellt sich die Frage: Hat diese Bewer­berin die gleichen Chancen wie eine Eva Meier? Häufig ist die Antwort ernüchternd.

In einer idealen Welt, in der die Vielfalt musli­mi­scher Lebens­rea­li­täten bekannt und akzep­tiert wären, wären Darstel­lungen wie diese vielleicht weniger problematisch.

Die Verant­wortung von Kultur- und Medien­schaf­fenden ist deshalb gross. Ihre Werke prägen Meinungen und können Vorur­teile verstärken oder abbauen. In einer idealen Welt, in der die Vielfalt musli­mi­scher Lebens­rea­li­täten bekannt und akzep­tiert wäre, wären Darstel­lungen wie diese vielleicht weniger proble­ma­tisch. In der heutigen Zeit, in der Muslim*innen oft unter General­ver­dacht stehen, ist der Einfluss solcher Klischees auf die Gesell­schaft jedoch erheblich.

Serien wie Tschugger könnten statt­dessen dazu beitragen, diffe­ren­zierte und vielschichtige Charaktere zu schaffen, die dem Publikum ein reali­sti­scheres Bild von Muslim*innen vermitteln – und das, ohne auf Humor, Spannung oder Unter­haltung verzichten zu müssen. Wie wäre es, ein positives Narrativ über die Muslime zu trans­por­tieren? Wie wäre es, nicht auf ein Schwarz-Weiss-Denken zu setzen, sondern die Grautöne hervorzuheben?

Positive Narrative schaffen – aber wie?

In Bezug auf «Tschugger» könnte zum Beispiel, in einem freien Brain­storming, die Fedpol-Agentin Regina, durch eine persön­liche spiri­tuelle Reise zum Islam konver­tiert sein und sich mit wehendem Kopftuch den bösen Übeltätern stellen. Oder Nadira im Oberwallis die kultu­relle Verstän­digung fördern, und Bax ein paar Brocken Arabisch beibringen, damit er es nicht mit Rätoro­ma­nisch verwechselt. Pirmin würde bei einer Wanderung heraus­finden, dass musli­mische Sarazenen im 9. Jahrhundert technische Neuerungen wie beispiels­weise Wasser­füh­rungen (Suonen) in die Alpen brachten, die dankbar von den Walliser Bauern zur Bewäs­serung genutzt wurden.

Klingt das alles eher ungewohnt? Naja, letzt­endlich ist jedes dieser Szenarien bei Weitem reali­sti­scher als jenes der musli­mi­schen Killer­hi­jabis in Tschugger. Dass uns positive Bilder von Muslim*innen irritieren, ist u.A. eine Folge der muslim­feind­lichen Darstellung in Film und Medien, also in Produk­tionen wie Tschugger.

In der Filmbranche gibt es bereits Beispiele, die Frauen mit Kopftuch z.B. in einer Rolle der Heldin oder einer vertrau­ens­er­weckenden beschüt­zenden Person darstellen. Ein Beispiel stellt die Netflix Serie «Bodies» dar, wo die musli­mische Haupt­dar­stel­lerin Detective Sergeant Shahara Hasan als vertrau­ens­er­weckende Polizei­beamte agiert, und versucht in einem Fall zu ermitteln, in der Hoffnung, der Gesell­schaft ein Stück Sicherheit und Gerech­tigkeit zu schenken.

Gut oder böse? In der Netflix Serie «Bodies» trägt die Hauptdarstellerin Detective Sergeant Shahara Hasan ein Kopftuch und Polizeiunform. Und verkörpert Sicherheit, Gerechtigkeit, Geborgenheit und Schutz vor dem Bösen.

Leider sind solch empowernden Rollen, die auch Frauen mit Kopftuch positiv in das Story­telling mitein­be­ziehen, auch bei der Co-Produktion des Schweizer Fernsehens SRF sehr dünn gesäht. Statt­dessen hinter­lassen Produk­tionen wie Tschugger Beunru­higung über die eigene Sicherheit und Enttäu­schung. Oder wie es mein musli­mi­scher Kollege aus dem Wallis in dem breitesten Walliser Dialekt und dem schönsten syrischen Neben­akzent ausdrückt: «Oh noo, nit Tschugger, i liebe si, di sint so luschtig.»

Dass dabei vor allem Walliser Muslime enttäuscht darüber sind, dass ausge­rechnet eine Serie aus ihrer Region antimus­li­mi­schen Rassismus repro­du­ziert (und ihnen so Spass an der Serie nimmt) ist verständlich.

 

Von Rami Khalid

 

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  1. Nebst der mehr als nur berech­tigten rassi­sti­schen Islamo­phobie gegenüber Muslim*innen und insbe­sondere Hijab tragenden Muslim*innen hat es mich insbe­sonders stark gestört als ich gemerkt habe, dass sie ernsthaft mit “Nadira”, das was mit Prinzessin Latifa geschah aufge­griffen haben. Auf so eine beschä­mende Art und Weise und in einem solchen islamo­phoben Kontext, ohne auch nur einen Gedanken an die betroffene reale Person zu denken, fand ich nicht mal ansatz­weise lustig.

  2. Tschugger ist eine S a t i r e .

    • Peter the Sage

      Lieber Chrigel, Satire ist gut und schön, aber es ist immer heikel, wenn sich Satire mit margi­nal­sierten Minder­heiten beschäftigt. Dort kann es sehr schnell passieren, dass Menschen Vorur­teile bestätigt sehen und das Risiko von Diskri­mi­nierung steigt. (Siehe Karika­turen von jüdischen Personen im Mittel­alter) Auch eine gute Absicht innerhalb von Satire, hilft den Direkt­be­trof­fenen von Rassismus und Diskri­mi­nierung nicht. Vielleicht wieder­spiegelt sich die Satire und das Lustig­machen eine erlebte Realität einer Person die Diskri­mi­nierung erfahren hat. Es wäre schöner, wenn man positive Narrative überspitzt anstatt Leute in ihren Vorur­teile zu bestätigen.

    • Der Kern der Satire ist, die Obrigkeit, die Hierarchie aufs Korn zu nehmen, nicht gegen unten und gegen eh schon exponierten Minder­heiten zu treten. Auch wenn letzteres einiges einfacher ist und wenig bis keine Konse­quenzen hat — ausser für dieje­nigen, die erneut verun­glimpft werden. Als Mann, der, so nehme ich nun an, der Mehrheits­ge­sell­schaft angehört, ist Ihr Kommentar nur schwer verdaulich und scheint das berech­tigte Anliegen zu delegi­ti­mieren. Schade.

    • Nun lieber Chrigel, Satire recht­fertigt nicht die Befeuerung von rassi­sti­schen Stereo­typen. Selbst wenn dies ohne böse Absicht geschieht, sollte den Drehbuch­schrei­benden bewusst sein, dass religiöse Minder­heiten ein sensi­tiver Themen­be­reich darstellen. Solche Befeuerung von Stereo­typen können in den einzelnen Schick­salen über Job, Diskri­mi­nierung, angespuckt etc. ja/nein entscheiden.

      • Ich weiss, was Satire ist.
        Am wenigsten ernst nehmen sich die Leute, die die Satire machen. Falls das euer Haupt­problem im Leben ist, gratliere ich euch. Ansonsten schaut bitte, welcher Horror in Gaza seit 430 Tagen abgeht und wie der Westen eisern schweigt. I stand for Palestine. I stand for Muslims. Belehrt mich nicht.

  3. Beate Grundlehner

    Habe den Film gesehen, war nicht begei­stert aber fand ihn lustig.
    Tschugger halt…
    Die Kritik ist gerechtfertigt!!!

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