Das SRF Reportage-Format «rec.» richtet sich explizit an ein Publikum zwischen 25 und 35 Jahren, junge Report*innen berichten über Themen, die die Community bewegen. Am Montag veröffentlichte «rec.» die Reportage «Die Junge Tat – Zwischen Rassismus und Meinungsfreiheit». Leider ist bei dieser einiges schiefgelaufen.
Der SRF-Reporter Samuel Konrad hat die Junge Tat bzw. ihre Anführer Tobias Lingg und Manuel Corchia ein halbes Jahr lang begleitet. Er und die Mitglieder gehen zusammen wandern, treffen den Rechtsextremisten Martin Sellner oder diskutieren am Küchentisch.
«Eigentlich muss man ihnen nur zuhören, dann wird klar, was sie wollen.»
Es ist erkennbar, dass der Reporter die Ideologie der Jungen Tat entlarven will. Unter anderem trifft er sich zu diesem Zweck mit dem hauseigenen Extremismusexperten Daniel Glaus. Dieser attestiert der Jungen Tat eine Entwicklung raus aus der Schweizer Neonazi-Szene. Inhaltlich hält er aber fest, dass die Junge Tat astreinen Rassismus vertritt («eigentlich muss man ihnen nur zuhören, dann wird klar, was sie wollen»).
Freundschaftliche Nähe & Verharmlosung von «Jugendsünden»
Diese Einschätzung steht in krassem Gegensatz zu grossen Teilen der Reportage über «Tobias» und «Manuel», wie der Reporter sie durchgehend nennt. An einem Punkt begrüsst er Lingg wie einen Kollegen mit den Worten «Da isch ja scho dr Tobi», während dieser ein offenbar lustiges Telefongespräch mit Martin Sellner führt.
Seine Verurteilungen wegen illegalem Waffenbesitz und Rassendiskriminierung darf Corchia unwidersprochen als Jugendsünde verharmlosen. Er hatte illegal ein Sturmgewehr AK-47 besessen und mit Kollegen an der ZHdK Vorträge mit «Heil Hitler»-Rufen gestört. Jugendsünden sehen anders aus. Der Reporter wirkt durch die Nähe zu den Protagonisten und dem fehlenden Kontext aktiv an der Verharmlosung der Inhalte von Lingg und Corchia mit.
Rechtsextremismus in der Opferrolle
Im Film kommt auch der Strafrechtsprofessor Martino Mona zu Wort und warnt, dass man die Opferrolle der Jungen Tat sehr kritisch hinterfragen müsse. Dies wurde im Film leider nicht umgesetzt, im Gegenteil. Als es um Bussgelder in Höhe von 70’000 Franken geht, die verschiedene Junge Tat-Mitglieder wegen Hausfriedensbruch, Rassendiskriminierung und Nötigung erhalten haben, sagt der SRF-Reporter ernsthaft zu Lingg: «Ihr bekommt Bussgelder und wurdet schon von Linksextremisten angegriffen. Ich stelle mir das als Leben voller Entbehrungen vor.»
Man bekommt das Gefühl, dass man Mitleid mit Menschen haben muss, die wegen Rassendiskriminierung verurteilt oder wegen Rechtsextremismus angegriffen wurden.
Später doppelt er nach und fragt: «Wie lange kann man so etwas aushalten?», woraufhin Lingg antworten darf: «Die Heimat darf jedes Opfer fordern.» Man bekommt tatsächlich das Gefühl, dass man Mitleid mit Menschen haben muss, die wegen Rassendiskriminierung verurteilt oder wegen ihrer erwiesenermassen rechtsextremen Gesinnung angegriffen wurden.
Auch bei der Verhaftung Sellners, die von ihm selbst beabsichtigt und im Internet geradezu angekündigt wurde, ist der Reporter zusammen mit Lingg und Corchia dabei. Der Reporter ordnet die Verhaftung aus dem Off zuerst richtigerweise als Instrument ein, um Aufmerksamkeit zu erregen. Nur um im Anschluss gegenüber «Tobi» Lingg das Gegenteil zu behaupten: «Das war vermutlich so nicht geplant, oder?»
Lingg und Corchia können sich grösstenteils ungestört als heimatliebende Wanderfreunde inszenieren.
Später im Auto macht sich der Reporter Gedanken und reflektiert seine eigene Arbeit. Eine Demonstrantin habe ihm vorgeworfen auf der falschen Seite zu stehen. Er meint dazu, dass er schon auf den ersten Blick auf der falschen Seite stünde, da er für die Gruppe Aufmerksamkeit generieren und somit ihre Standpunkte ein Stück weit normalisieren würde. Gleichzeitig sei es ihm aber wichtig, die Strategie, das Vorgehen und die Ideologie der Jungen Tat aufzuzeigen. Entsprechend wolle er auf keiner Seite stehen und neutral berichten.
Aber genau das gelingt der Reportage aufgrund der gesuchten Nähe zu Lingg, Corchia und Sellner nicht. Im Gegenteil, Lingg und Corchia können sich grösstenteils ungestört als heimatliebende Wanderfreunde inszenieren. Ausserdem muss eine Reportage nicht in jedem Fall neutral sein – gerade wenn es um rechtsextremes, rassistisches Gedankengut geht. Eine vermeintlich neutrale Haltung, wie hier gegenüber menschenverachtenden Positionen, ist sehr gefährlich.
Späte Konfrontation
Natürlich blitzen die Widersprüche ab und zu auf, zum Beispiel als ein neues Mitglied der Jungen Tat gefragt wird, wann er die beklagte Überfremdung denn persönlich erlebt habe und er kein Beispiel nennen kann. Aber meistens fehlt dieser direkte Widerspruch für die Zuschauer*innen, direkt oder aus dem Off.
Erst in den letzten drei Minuten der Reportage, bei der sogenannten Konfrontation, fallen die Masken der beiden Protagonisten. Beim Küchentischgespräch zeigen Lingg und Corchia ihren Rassismus und ihre Queerfeindlichkeit offen. So finden sie, jemand der aus Sri Lanka in die Schweiz komme, könne in ihren Augen niemals ein Schweizer sein und trans Personen hätten psychische Störungen.
Man hätte sich solche Konfrontationen schon früher gewünscht und nicht erst kurz vor dem Ende. Zurück bleibt eine Reportage, die zwar bemüht ist, die Junge Tat politisch zu entlarven, aber gleichzeitig an der Nähe zu ihren Protagonisten scheitert. Es werden leider zu bereitwillig die Bilder und Erzählungen der Jungen Tat übernommen. Auch wenn die Einordnung am Schluss deutlich ist, werden Lingg und Corchia häufig verharmlosend dargestellt. Diese Reportage dürfte am Ende nur denen helfen, vor denen sie eigentlich warnen sollte.
Von Nico Zürcher
Dass im video von srf die härteste Kritik von einem SVP-Politiker kommt, sagt schon alles über das Video. 30 Minuten Verharmlosung und beinahe Werbung für die junge tat, eine bodenlose Schande für jeden der sich kritischer Reporter nennt.
Danke für diese tolle Analyse/Meinung. Lese immer wieder gern, eure Berichterstattung.
Leider zieht sich dieses Bild durch die Berichterstattung über Rechtsextreme. Im Wahlkampf in Deutschland wurden immer wieder Rechtsextreme aus der AfD in Talkshows etc. eingeladen. Aus der erhofften Konfrontation, dem Politischen Entlarven etc. wurde nichts. Rechtsextreme können so quasi ungestört ihre Hetze verbreiten und sie wird normalisiert, sie wird salonfähig. Dass der SRF-Reporter dies sogar weiss und die Sendung trotzdem in dieser verharmlosenden Form veröffentlicht, ist grob fahrlässig.
Danke Baba für diese dringend notwendige Einordnung