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Stimmen aus der Community – «Corona ist ein globales Problem und keine importierte Krankheit aus dem Balkan»

In den letzten Tagen war die albanische Community  immer wieder Teil der Corona-Schlagzeilen. Wir wollten von euch wissen: Was haltet ihr davon?

Linda, 27

Es ist unfair, dass nun alle Balkaner*innen als verant­wor­tungslose Massnah­men­ver­wei­gerer darge­stellt werden. Während meine Schweizer Freund*innen den Sommer auf Mallorca durch­ge­feiert haben, bin ich wegen Covid gerade nicht gereist und habe dieses Jahr auch nicht meine Familie auf dem Balkan besucht. Dass nun versucht wird, die Pandemie auf die Migra­ti­ons­be­völ­kerung abzuwälzen, ist einfach nur billig. Verglichen mit dem Ausland hat die Schweiz eine der tiefsten Impfquoten – es liegt auf der Hand, dass viele Impfskep­tiker Meier-Müller und nicht Krasniqi heissen. Gleich­zeitig geht vergessen, dass das total unter­be­zahlte Pflege­per­sonal, mit welchem man anscheinend wieder so viel Mitleid hat, selbst zu einem grossen Teil aus dem Balkan stammt. Wenn sich unsere Leute für die Gesell­schaft aufopfern, spielt die Herkunft aber keine grosse Rolle.

Fiton, 26

Ich finde dieses Mal haben die Medien recht. Wir müssen etwas selbst­kri­ti­scher sein. Wir haben in der Heimat unserer Eltern Ferien gemacht, das Virus dort verbreitet und uns dann aus dem Staub gemacht. Unsere Verwandten im Kosovo haben keine so gute medizi­nische Behandlung, wie wir in der Schweiz. Meine Tante ist jetzt schwer erkrankt und im Spital hat es keinen Platz. Kurz gesagt: Wir haben uns gegenüber unseren Verwandten und unseren Mitmen­schen rücksichtslos verhalten. Ausserdem sind wir eine wohlstands­ver­wöhnte Gesell­schaft geworden. Anstatt uns impfen zu lassen und unsere eigenen Eltern, welche teilweise zu den Risiko­gruppen gehören, auch dazu zu motivieren, tun wir so, als wäre die Impfung die wahre Bedrohung.

Carolina, 24

Ich gehöre zwar nicht der albani­schen Community an, aber stamme auch aus Osteuropa. Ich habe mich schon länger gefragt, ob in den Kreisen meiner Eltern (ü45, einge­wandert, Arbei­ter­klasse), nicht eine gewisse Impf- und generelle Massnah­men­skepsis herrscht. Ich mache gerade in meiner Familie die Erfahrung, dass meine Eltern aufgrund ihrer Traumata (politische Krise im Herkunftsland, Armut, Migration) sehr fest auf ihre Unabhän­gigkeit beharren und Zweifel haben, was staat­liche Empfeh­lungen angeht. Die Eltern und Familien meiner Schweizer Freunden haben sich alle gleich impfen lassen. Diese Sicherheit und Gelas­senheit dem Thema gegenüber haben auch meine Freunde. Sie können nicht verstehen, in welchem Konflikt ich bin, wenn es darum geht, mich hinter dem Rücken meiner Eltern impfen zu lassen. Unter­dessen bin ich davon überzeugt, dass es in dieser Situation ein Privileg ist, wenn man Eltern und Familie hat, welche behütet und sicher in diesem Land aufwachsen durften. Sie konnten diese Sicherheit, Gewissheit und das Vertrauen in das Gesund­heits­system an ihre Kinder weiter­geben. Der moralische Spagat, den ich und sicher auch ganz viele andere Migran­ten­kinder gerade machen müssen, ist echt anstrengend, und es hilft mir nicht, wenn mich meine Schweizer Freunde darauf aufmerksam machen, dass ich als einzige noch nicht geimpft sei und die Pflicht hätte, meine Eltern aufzuklären.

Egzona, 29

Meiner Meinung nach hat es die Regierung mit ihrer Impfkam­pagne versäumt, alle Bewohner*innen der Schweiz abzuholen. Die anfäng­liche Impfkam­pagne bezog sich klar auf Schweizer*innen ohne Migra­ti­ons­ge­schichte. Es wurde zugelassen, dass Gerüchte und Unwahr­heiten die Runde machen konnten. Dass die Massnahmen und die Kurzarbeit haupt­sächlich jene Menschen trafen, die nicht von zu Hause aus ihrer Arbeit nachgehen konnten, verstärkte das Misstrauen gegenüber dem Staat zusätzlich. Mit dem Widerruf der Bewil­ligung für des Alba-Festivals wird erneut gegen eine margi­na­li­sierte Gruppe geschossen und diese damit diskri­mi­niert. Den Veran­staltern wurde die Geneh­migung entzogen, da sich der Event angeblich an eine «stark von Covid betroffene Community» richtet. Dann sollten aber auch die Schwing­feste abgesagt werden, nicht? Und dann noch 1–2 Worte an unsere balka­nische Community: Hört auf mit diesen Verschwö­rungs­theorien und lasst euch impfen! Nicht, damit wir damit als «die guten Albaner» dastehen, tut es, weil es das einzig Richtige ist, um die Ausbreitung der Pandemie zumindest zu verringern.

Besiana, 28

Ich arbeite in einem Spital und bei uns auf der Station befinden sich wirklich fast nur albanisch­stämmige Patient*innen aus dem Kosovo oder aus Nordma­ze­donien, die nicht geimpft sind – so sehr ich mir wünschen würde, dass es nicht so wäre. 90% der Patient*innen haben einen albani­schen Namen. Die restlichen Patienten sind Schweizer Landwirte. Die sind auch eher impfkri­tisch. Irgendwie müssen wir die health literacy (= Gesund­heits­kom­petenz) unter unseren Leuten erhöhen. Das schaffen wir nur mit Infor­mation und Kommu­ni­kation. Wir, die junge Generation, sind in der Pflicht, die ältere Generation aufzuklären.

«Irgendwie müssen wir die health literacy (= Gesund­heits­kom­petenz) unter unseren Leuten erhöhen.»

Luljeta, 26

Einmal mehr wird bestätigt, dass man Ausländer*innen gegenüber den Massstab höher ansetzt. Und das macht uns zur Zielscheibe. Mit den Vorur­teilen, welche in den letzten Jahrzehnten entstanden sind, hat man einen guten Nährboden dafür gelegt, dass man dieser Community misstrauen soll. Wodurch schon mal eine Grund­skepsis besteht. Niemand nannte die Schweizer*innen «Impfmuffel». Vielmehr wurde gesagt, dass jeder und jede das Recht hätte, sich (nicht) impfen zu lassen. Wieso haben wir nicht das gleiche Recht, uns egoistisch, schlecht oder unsoli­da­risch zu verhalten? Meiner Meinung nach zeigt uns das, dass wir nicht alle gleich sind.

Helena, 29

Regierung und Wirtschaft riskieren seit anderthalb Jahren mit ihrer fahrläs­sigen Pandemie-Strategie Gesundheit und Leben von Millionen. Sie liefern die Arbei­tenden in den system­re­le­vanten Berufen (oft mit migran­ti­schem Hinter­grund) vors Messer und nehmen Burnouts aktiv in Kauf. Aber an der geschei­terten Impfkam­pagne und den steigenden Infek­ti­ons­zahlen sind natürlich wieder Ausländer*innen oder solche mit Familie im Ausland schuld. Ich habe die Nase so gestrichen voll!

Luan, 24

Ein schmaler Grat. Die Datenlage ist klar: Ein überpro­por­tio­naler Teil der aktuell Hospi­ta­li­sierten hat sich im Balkan angesteckt, und das muss disku­tiert werden. Es ist aber auch heikel, weil nicht klar ist, inwiefern diese Ferien­rück­kehrer in der Schweiz tatsächlich Treiber der Pandemie sind — zuvor hat man die Hospi­ta­li­sie­rungs­raten auch nicht nach Herkunftsland aufge­schlüsselt, als es noch nicht «inter­essant» war. Schade finde ich, dass albanische Vorbilder in der Schweiz sich nicht stärker ins Zeug legten, um die Infor­ma­ti­ons­lücke zu schliessen, um Albanisch­stämmige besser zu erreichen und von den Vorteilen der Impfung zu überzeugen. Auch baba news war diesbe­züglich leider überra­schend still, meiner Meinung nach.

Lum, 22

Man kann sich über solche Schlag­zeilen und Kommentare gegen die albanische Community nur aufregen. Egal was man tut oder welcher Fehler einem unter­läuft, man wird nie als Mensch gesehen. Es heisst statt­dessen: «Der ist Albaner, deshalb verhält er sich so und so…» Man sucht immer einen Sündenbock. Einmal mehr zeigen Kommentare wie: «Geht doch in den Kosovo und haltet eure Konzerte dort!», dass wir in dem Land, in dem wir aufge­wachsen und als Community eine enorme Leistung für die Gesell­schaft erbracht haben, nicht willkommen sind. Ein Top-Spieler wie Xhaka wird, wenn es etwas Negatives zu berichten gibt, auf seine Herkunft reduziert. Sobald er für die Schweiz Tore schiesst, ist er das Aushän­ge­schild der Schweizer-Nati. Give us a break!

Sabrina, 30

Es schürt natürlich Vorur­teile, wenn die Gründe nicht genannt werden, wieso so viele aus der Community nicht geimpft sind: Fehlende Aufklärung, fehlende Möglich­keiten sich während der Arbeitszeit impfen zu lassen, Sprach­bar­rieren, Impfskepsis, besondere Famili­en­ver­hält­nisse, andere Wohnsi­tua­tionen, weniger Möglich­keiten im Home Office zu arbeiten… Das sind alles struk­tu­relle Probleme. Ich bin Inten­siv­pfle­gerin und alle meine Covid-Patien­tinnen und Patienten waren vom Balkan. Auch ihre Familien sind nicht geimpft. In meinem Arbeits­umfeld hat sich zudem nur die Hälfte der Albaner*innen impfen lassen. Das macht die Arbeit schwierig und das Personal ist am Limit. Manch einer mit schwarzem Humor redet mittler­weile von «Covic», weil es leider die Realität geworden ist.

Kush, 30

Der Grossteil der Schweizer hat in anderen Ländern Ferien gemacht. Darüber wird nur am Rande berichtet. Haupt­sache jeder Covid-Bericht wird albanisch ausgelegt. Ich bin doppelt geimpft und muss mir ständig Vorwürfe und anderen Mist anhören. Als wären wir Schuld daran, dass in der Schweiz keiner Lust hat, sich impfen zu lassen.

Fetije, 37

Leider wahr! Ich bin Albanerin, arbeite auf dem Notfall, und wir haben so viele Patienten, die aus den Ferien im Balkan zurück­kehren. Sie sind nicht geimpft und Covid-positiv. Leider sind auch viele darunter, die einen sehr schwerem Verlauf haben bis hin zum Todesfall.

Gona, 26

Ich kann es nicht mehr hören! Man könnte meinen, dass abgesehen von Albaner*innen niemand sonst in den Ferien war. Die Sache mit dem Alba-Festival ist ausserdem ein Witz. Während das Energy Air mit 40‘000 Gästen statt­findet, wird das Alba-Festival abgesagt. Die Schlag­zeilen sind das eine, aber die Kommentare unter diesen Beiträgen sind nur noch traurig und rassi­stisch. Wegen so Schlag­zeilen muss ich mich auf der Arbeit recht­fer­tigen und wehren. Ich finde es schade, dass ich und ganz viele aus der albani­schen Community das durch­machen müssen.

«Corona ist ein globales Problem und keine impor­tierte Krankheit aus dem Balkan.»

Ilir, 29

Ich bin queer und habe albanische Wurzeln. Ich wäre diesen Samstag gern ans Alba-Festival und an die Pride. Da mir beides wichtig ist, hätte ich die beiden Events kombi­niert. Nun frage ich mich, welche Vorkeh­rungen der Ständerat an der Pride treffen will, die beim Alba-Festival nicht möglich gewesen wären. Meiner Meinung nach nimmt die Stigma­ti­sierung von Albaner*innen zu. Dabei vergessen viele: Corona ist ein globales Problem und keine impor­tierte Krankheit aus dem Balkan.

 

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