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Geschichtsklitterung – «Der NZZ-Artikel ist nicht nur eine Beleidigung Mandelas»

Ulrich Schmid kritisiert in der NZZ Südafrikas IGH-Klage gegen Israel. Ausgerechnet Mandela und seine jüdischen Verbündeten sollen hier als Zeugen für Israel beschworen werden. Was folgt ist ungehemmte Geschichtsklitterung.

«Ein Verrat am Erbe Mandelas» – so bezeichnete Ulrich Schmid in der Neuen Züricher Zeitung vor kurzem die Genozid-Klage Südafrikas am IGH gegen Israel. «Postko­lo­niale und somit rassi­stische Politik» soll das sein. Wen das schon Schlimmes erahnen lässt, der liegt richtig. Doch der Text ist noch schlimmer, als man ihn sich vorstellt. Viele Leser*innen, die Mandela als Unter­stützer Palästinas in Erinnerung haben, wird das alles sehr irritieren, und das zurecht. Denn gemäss Schmid war Mandela ein Friedens­pre­diger, der das «geschändete Israel» nie auf die Ankla­gebank des Inter­na­tio­nalen Gerichtshofs gesetzt hätte. Aber schauen wir uns doch mal die vermeint­lichen «Argumente» im Detail an.

Der Beitrag beginnt mit den Worten: «Mandela mochte die Juden.» Und mit dieser recht simplen Feststellung lässt sich auch schon das Haupt­ar­gument des Autors zusam­men­fassen. Die Tatsache, dass Mandela mehrere jüdische Unterstützer*innen hatte (welche auch namentlich erwähnt werden) soll gemäss des NZZ-Artikels «beweisen», dass Mandela, als Kämpfer gegen die Apartheid, auch ein Freund Israels gewesen sein muss. Dazu versucht Autor Ulrich Schmid u.A. Mandelas Unter­stützung für Palästina herun­ter­zu­spielen. Mehr als ein «das Wohl der Palästi­nenser war im wichtig» wird man hierzu nicht lesen. Nebenbei meint Schmid, dass Mandela «Versöhn­lichkeit ausge­strahlt» habe. Das Bild, welches hier von Mandela gezeichnet wird, ist das eines Friedens­engels, der seinen «Feinden die Hand reichte».

Diese Darstel­lungen sind derart irreführend, dass man sie nur als Frechheit bezeichnen kann. Fangen wir mit dem letzter­wähnten Punkt an. Es stimmt, dass das finale Ziel des späteren, südafri­ka­ni­schen Präsi­denten ein fried­liches, egali­täres Zusam­men­leben zwischen Schwarzen und weissen war. Dennoch betonte er stets das Recht auf bewaff­netem Wider­stand. Mandelas Name war bis 2008 noch auf einer US-Terror­liste zu finden und das war durchaus kein Versehen. Seine Partei, der African National Congress (ANC), hatte einen bewaff­neten Arm, die uMkhonto we Sizwe (MK), welche Anschläge verübt hat.

«Jedoch werden hier jüdische Menschen zwanghaft mit Israel assoziiert, einfach nur weil sie jüdisch sind.»

Zugegeben, Mandela hat stets dafür plädiert, nicht Zivilist*innen anzugreifen. Dennoch kam es bei Attacken der MK zu zivilen Opfern, wie beim Church-Street-Anschlag von 1983 oder beim Amanzimtoti-Anschlag von 1985. Mandela war bereit für Frieden, wenn es angebracht und möglich war, aber er hielt nicht einfach die andere Wange hin. In seinen eigenen Worten: «Wenn die einzige Alter­native Gewalt ist, wählen wir Gewalt».

Schlimmer als diese verzerrte Darstellung von Mandela ist nur jene seiner jüdischen Verbün­deten. Nur um das klarzu­stellen: Die von Schmid erwähnten jüdischen Aktivist*innen waren alle heldenhaft und verdienen nichts als Respekt. Jedoch werden hier jüdische Menschen zwanghaft mit Israel assoziiert, einfach nur weil sie jüdisch sind. Schmid hat sich nicht einmal Mühe gegeben in Erfahrung zu bringen, wie eigentlich die Jüd*innen, die er hier nennt, überhaupt zum Zionismus und Israel standen.

Zwei Namen sollen hier besonders hervor­ge­hoben werden: Denis Goldberg und Joe Slovo. Ja beide waren Juden. Die beiden waren auch Kommu­nisten und beide hatten nicht gerade eine positive Meinung zum Staat Israel und seinem Umgang mit Palästinenser*innen. Goldberg hat bis zu seinem Tod 2020 stets betont, dass er Israel für einen Apart­heid­staat hält. Dies führte sogar soweit, dass Goldberg offen die BDS unter­stützte (BDS veröf­fent­liche 2020 auf ihrer Website auch ein Nachwort auf Goldberg). Joe Slovo ging sogar noch einen ganzen Schritt weiter. In seiner unvoll­endeten Autobio­graphie von 1997 schrieb er:

«Ironi­scher­weise wurden die Schrecken des Holocausts zur Ratio­na­li­sierung für die von Zionisten began­genen Völker­morde an der indigenen Bevöl­kerung Palästinas. (…) Es ist auch ironisch, dass die Juden­hasser in Südafrika – dieje­nigen, die für einen Sieg Hitlers arbei­teten und beteten – eng mit den Herrschern Israels in einer neuen, auf Rassismus basie­renden, Axe verbunden sind.»

«Schmid hat sich nicht einmal Mühe gegeben in Erfahrung zu bringen, wie die Jüd*innen, die er hier nennt, überhaupt zum Zionismus und Israel standen.»

NZZ-Redaktor Ulrich Schmid mag zwar glauben, dass die Anklage gegen Israel am IGH ein Verrat an Mandelas Erbe sei, aber ich würde frech behaupten, dass sie zumindest kein Verrat am Erbe Slovos ist. Ja, Mandela hatte jüdische Freunde. Er war bestimmt kein Antisemit. Was das aber mit dem Fall am Inter­na­tio­nalen Gerichtshof zu tun haben soll, erschliesst sich mir nicht. Die Anklage ist kein Affront an Mandela. Dieser Feuil­leton-Beitrag hingegen ist eine Belei­digung für Denis Goldberg und Joe Slovo, weil man sich offen­sichtlich überhaupt nicht für ihre Ansichten und Ideale inter­es­siert hat. Die Assoziation der beiden mit Israel, einfach aufgrund ihrer jüdischen Herkunft, ist nicht nur unver­schämt, sondern in der Tat antisemitisch.

Zuletzt sollten wir noch Mandelas Beziehung zu Palästina erläutern. 1997 sagte er in einer Rede zum Inter­na­tio­nalen Tag der Solida­rität mit dem palästi­nen­si­schen Volk, dass «ihre Freiheit unvoll­ständig ist, ohne die Freiheit der Palästi­nenser». Schmid würde jetzt erwidern, dass Mandela in derselben Rede auch Yitzhak Rabin gelobt hat, und ihn vier Jahre davor für einen Friedens­no­bel­preis vorschlug. All das ist selbst­ver­ständlich korrekt. In der gleichen Rede jedoch lässt er die Menschen­rechts­ver­let­zungen in Palästina nicht unerwähnt.

«Wieder muss ich mich aber fragen, was das alles mit dem Fall am Inter­na­tio­nalen Gerichtshof zu tun haben soll.»

Im selben Jahr sagte Mandela, dass sich der ANC mit der «PLO identi­fi­ziert, weil sie genau wie sie selbst, für das Recht auf Selbst­be­stimmung kämpft». Ja, Mandela erkannte Israels Existenz­recht an, aber auch weil er den Kurs der PLO unter­stützt hat, welche damals die Zwei-Staaten­lösung befür­wortete. Es ist jedoch eindeutig, dass er die Lage der palästi­nen­si­schen Nation analog zum Befrei­ungs­kampf in Südafrika betrachtet hat. In seinen Augen entsprachen Rabin und Arafat in etwa Frederik de Klerk und ihm selbst. Das macht es aber umso deutlicher, dass er Palästinenser*innen hier als die unter­drückte Bevöl­kerung betrachtet hat. Er wünschte sich daher für Palästinser*innen und Israelis eine Zukunft wie in Südafrika, mit Freiheit und Gleichheit für alle.

Wieder muss ich mich aber fragen, was das alles mit dem Fall am Inter­na­tio­nalen Gerichtshof zu tun haben soll. Ja, Mandela hat Israel als Staat anerkannt. Und jetzt? Die südafri­ka­ni­schen Anwälte haben in Den Haag nicht die Existenz Israels ausge­handelt, sondern den Staat des Völker­mordes angeklagt. Herr Schmid mag das nicht vorstehen (oder will es nicht), aber das sind zwei sehr unter­schied­lichen Dinge.

«Ehe das palästi­nen­sische Volk nicht frei ist, kann von Versöhnung keine Rede sein.»

Der Protagonist von Ulrich Schmids Feuil­leton-Beitrag ist nicht Nelson Mandela. Es ist eine fiktive Figur, mit dem gleichen Namen, welche sehr lose auf dem Original basiert. Schmids Mandela «versöhnte» sich nur mit den Weissen. Versöhnung mit einem Unter­drücker kann aber erst statt­finden, wenn das System der Unter­drückung abgeschafft ist. Und der echte Mandela hat wortwörtlich gegen die Apartheid gekämpft. Für die palästi­nen­sische Nation ist dieses System jedoch noch vollständig präsent. Sie leben immer noch in ihrer Apartheid, in ihren Bantustan. Und in einem dieser Bantu­stans wird gerade ein Genozid verübt. Ehe das palästi­nen­sische Volk nicht frei ist, kann von Versöhnung keine Rede sein.

Schmid ging es hier aber weder um Versöhnung noch um das Erbe Mandelas. Es ging ihm allein um eine Täter-Opfer-Umkehr, und dazu bediente er sich scham­loser Geschichts­klit­terung. Dieser Beitrag ist nicht nur eine Belei­digung Mandelas und anderer Kämpfer gegen die Apartheid. Es ist eine Belei­digung jedes Menschen, der nur halbwegs histo­rische Kenntnis von anti-kolonialen Befrei­ungs­kämpfen hat.

Ilyas Ibn Karim (Pseudonym) ist Religions- und Kultur­wis­sen­schaftler aus Deutschland.

  1. Merve Tasan

    Danke für diesen Beitrag.

  2. Vielen Dank für diesen wertvollen Beitrag, machen Sie weiter so.

  3. Betty Ali

    Der Artikel von Ulrich hat mich sprachlos gemacht. Sie nicht. Danke dafür!

  4. Hammer sehr gut geschrieben und recher­chiert! etwas was leider die NZZ super Journa­listen nicht mehr machen.

  5. Aida Moxon

    Vielen Dank für diesen Artikel! Ihr zeigt wiedermal, was richtiger Journa­lismus ist, antwortet konkret auf den belei­di­genden Artikel der NZZ und beweist, dass es doch noch Medien mit Integrität gibt. 🙏🏻

  6. Oliver Steiner

    Toller Artikel!

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