Artikel unserer Gastarbeiter*innen

«Ich versuche Migranten zu erklären, warum es gut für sie ist, die SVP zu wählen»

Suat Nuhija, Harry John Kennedy und andere Kandidat*innen mit Migrationshintergrund wollen diesen Herbst für die SVP Basel-Stadt in den Grossen Rat ziehen. Wie passt das zusammen? Ein Gastbeitrag von Bajour-Reporterin Adelina Gashi.

Menschen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund sind im Basler Parlament unter­re­prä­sen­tiert. Die Basler Bevöl­kerung besteht aus 50 Prozent einge­bür­gerten Schweizer*innen, im Grossen Rat sind es nicht mal 10 Prozent, hielt das SRF Regio­nal­journal vergangene Woche fest. Dass sich das diesen Wahl-Herbst ändert, dafür will die SVP sorgen. Ausge­rechnet? Ausgerechnet.

Die Ausschaf­fungs-Initiative, die Minarett-Initiative, die Massen­ein­wan­de­rungs-Initiative – bloss eine Auswahl der Vorlagen, die die SVP in den letzten Jahrzehnten den Stimm­be­rech­tigten präsen­tiert hat. Vorlagen, die dafür sorgen, dass sich hartnäckig der Eindruck hält: Die SVP hat ein Problem mit Ausländer*innen.

«Ich freue mich besonders, dass wir auch Menschen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund für unsere Liste gewinnen konnten», schreibt der Basler SVP-Grossrat und Frakti­ons­prä­sident Pascal Messerli auf Social Media. Damit meint er Nataliya Lutsenko, Harry Kennedy, Huiwen Lao und Suat Nuhija, die allesamt dieses Jahr zum ersten Mal für die SVP in den Grossen Rat ziehen wollen. Ich habe drei der Kandi­die­renden getroffen und wollte von ihnen wissen: Warum SVP?

Politik ist wie Boxen

Suat Nuhija läuft in ein Café am Tellplatz. Seine olivgrüne Nike-Mütze behält er auf, setzt sich und legt eine Stoff­maske mit Baslerstab-Muster vor sich hin.

«Sind Sie Lokal­pa­triot?», will ich von ihm wissen und deute auf die Maske.

«Aber klar doch. Muss. Ich bin in Basel aufge­wachsen, das ist meine Heimat», sagt er lachend.

Ich bestelle eine Cola, Nuhija eine Coke Zero. Im Herzen ist er nämlich noch Sportler, achtet auf seine Fitness und Ernährung, obwohl er die grosse Karriere schon vor Jahren an den Nagel gehängt hat.

Suat Nuhija, 44: Sein politi­sches Vorbild ist der Boxer Vitali Klitschko. (Foto: Adelina Gashi)

Wenn er von seinen politi­schen Plänen spricht, vergleicht er das oft mit dem Boxen. Er war selbst Thai-Boxer, hat einen steilen Werdegang hingelegt, gewann zahlreiche Turniere und wurde sogar Europa­meister. Heute arbeitet er als Hausmeister und trainiert nebenher andere in seinem Dojo in Baselland.

«Ich bin noch ganz neu und dabei heraus­zu­finden, wie alles funktio­niert. Klitschko hat es vorge­macht: Zuerst war er einer der erfolg­reichsten Boxer überhaupt. Dann ist er in die Politik einge­stiegen und wurde Bürger­meister. Wer weiss, vielleicht schaffe ich das auch, so erfolg­reich zu sein. Aber immer mit der Ruhe, Schritt für Schritt. Das braucht Vorbe­reitung, wie vor einem Turnier.»

Angesprochen auf seine politi­schen Pläne, bleibt Nuhija vage: «Falls ich gewählt werde, möchte ich mich für die Jugend einsetzen und ihre Bildungs- und Karrie­re­mög­lich­keiten. Wie genau das aussehen wird, will ich noch nicht verraten. Lasst euch überra­schen», sagt er und lächelt verschmitzt.

«Will ich ein Auto kaufen, entscheide ich mich auch für die beste Marke und nehme den BMW und nicht den Mercedes.» Suat Nuhija, 44

Im Alter von zwei wanderte Nuhija mit seiner Familie aus Albanien in die Schweiz aus. Das war vor 42 Jahren. Seine Eltern arbei­teten hier zunächst als Saison­niers und blieben dann ganz.

«Ich habe in meinem Leben in der Schweiz nie Diskri­mi­nierung erfahren und bin dankbar für alle Möglich­keiten, die ich hier bekommen habe, und das Leben, das ich mir aufgebaut habe. Eine Familie, einen Job, eine Kranken­kasse, Sicherheit. Das wäre in Albanien anders gewesen, es wäre schwie­riger gewesen», sagt er.

«Glauben Sie, dass die Schweiz, dass die Basler*innen, ein Problem mit Ausländer*innen haben?», frage ich.

«Nein. Sowas habe ich nie mitbekommen.»

«Und was ist mit der SVP? Erinnern Sie sich an die Kampagne ‹Kosovaren schlitzen Schweizer auf›?»

«Das habe ich nicht mehr so genau im Kopf. Dazu kann ich nichts sagen. Aber ich denke, in jeder Partei gibt es Mitglieder, mit denen man nicht immer einer Meinung ist. Ich kann für mich behaupten: Ich fühle mich sehr wohl und akzep­tiert in der SVP.»

Am 22. September 2020 campiert die Klima­jugend vor dem Bundeshaus. Darüber gerät SVP-Natio­nalrat Andreas Glarner mit der Grünen Basler Natio­nal­rätin Sibel Arslan in ein hitziges Wortge­fecht: «Das ist Recht und Ordnung, Frau Arschlan (sic!) und das hat es in deinem Staat nicht gegeben», sagt er, worauf Arslan erwidert: «Von welchem Staat sprichst du? Ich bin Schwei­zerin.» Das reicht Glarner nicht. Mittler­weile will er sogar Doppelbürger*innen aus dem Parlament ausschliessen.

Die SVP habe kein Diskri­mi­nie­rungs- oder Rassis­mus­problem, sagen SVP-Vertreter*innen wie Andrea Geiss­bühler oder der ehemalige Natio­nalrat Toni Brunner. Und wenn jemand etwas gegen­tei­liges behauptet, heisst es von Seiten der Partei: «Einzel­fälle», von denen man sich schleu­nigst distan­ziert habe. Das Online-Magazin «Republik» publi­zierte am 3. September 2020 eine Aufli­stung dieser Einzel­fälle, ohne Anspruch auf Vollstän­digkeit und doch geben die «Missver­ständ­nisse» 11 Minuten Lesestoff her.

«Als Mitglied einer Partei muss man nicht mit allem einver­standen sein, wofür eine Partei einsteht. Es reicht, wenn das ein Teil des Programms ist und in anderen Punkten, wie zum Beispiel der Migra­ti­ons­po­litik vielleicht eine andere Meinung vertritt», sagt Thomas Milic.

«Dass einge­bür­gerte Schweizer*innen poten­zielle Wähler*innen sind, hat auch die SVP verstanden.» Dr. Thomas Milic, Politologe der Univer­sität Zürich

Dr. Thomas Milic lehrt Schweizer Politik an der Univer­sität Zürich. Für ihn ist es nicht besonders überra­schend, dass auch Menschen mit Migra­ti­ons­ge­schichte ihre Werte­haltung in der SVP wiederfinden.

«Je mehr Leute wir abdecken, desto mehr Leute können wir auch für uns mobili­sieren», sagte SVP-Frakti­ons­prä­sident Pascal Messerli letzte Woche im SRF Regio­nal­journal über die Migrant*innenliste der SVP.

Wenn Parteien Migrant*innen-Listen führen, wie das auch die SP tut, kann das als eine Form von Identi­täts­po­litik gesehen werden, sagt Milic: «Dass einge­bür­gerte Schweizer*innen poten­zielle Wähler*innen sind, hat nun mal auch die SVP verstanden.»

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Schweizer SVP vor allem durch migra­tions- und europa­po­li­tische Vorlagen profi­liert und hat beim Stimmenfang immer wieder mit umstrit­tenen Methoden aufge­wartet. Mit dem Spruch «Kosovaren schlitzen Schweizer auf» warb die Partei 2011 für die Massen­ein­wan­de­rungs-Initiative. Dafür wurden die Kampagnen-Verant­wort­lichen, der ehemalige SVP-General­se­kretär Martin Baldisser und Stell­ver­tre­terin Silvia Behr, vom Bundes­ge­richt 2017 wegen Rassen­dis­kri­mi­nierung verurteilt.

Blendet man die Migra­ti­ons­po­litik der SVP aus, bleibt nicht besonders viel übrig vom politi­schen Programm. Warum unter­stützen Migrant*innen eine Partei wie die SVP, die Migration begrenzen will?

«Manche einge­bür­gerte Schweizer und Schwei­ze­rinnen sehen es ungern, wenn sie durch andere Migranten konkur­ren­ziert werden und fürchten auch um ihre Jobs», sagt Milic. «Es findet eine Überkom­pen­sation statt, vor allem, wenn es darum geht, sich gegen andere abzugrenzen. Sofort ausschaffen, heisst es dann zum Beispiel. Hier spielt zusätzlich die Angst um den eigenen Ruf.»

Kultu­relle Brücken in der SVP 

Harry John Kennedy kandi­diert für die SVP im Wahlkreis Klein­basel. Er sagt: «Ich habe schon viel Diskri­mi­nierung und Rassismus wegen meiner Herkunft erlebt.» Kennedy will kultu­relle Brücken bauen und die SVP sei dafür die richtige Partei, sagt er.

«Ich will, dass Menschen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund eine Stimme bekommen und bei Themen wie Diskri­mi­nierung vermitteln können.» Harry John Kennedy, 52

Der Politiker sitzt im Grand Cafe in der Clara­strasse und bearbeitet seine To-Do-Liste auf einem Tablet. Er reicht mir einen seiner Flyer. Da steht sein Wahlver­sprechen in drei Sprachen: Deutsch, franzö­sisch und spanisch. «Ich verbringe im Moment viel Zeit damit, mit Menschen zu sprechen. Von Klein­hü­ningen bis Eglisee. Vor allem mit Schweizern mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund», sagt Kennedy.

«Warum mit Schweizer*innen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund?», will ich wissen.

«Weil ich ihnen versuche zu erklären, warum es auch gut für sie ist, SVP zu wählen», sagt Kennedy.

«Ist es das? Wieso?»

«Viele meiner Freunde sind skeptisch, wenn ich ihnen davon erzähle, dass ich bei der SVP bin. Zu jemandem habe ich kürzlich gesagt: ‹Wie lange bist du nun schon beim RAV? Du findest keinen Job. Die SVP setzt sich dafür ein, dass es mehr Arbeits­plätze gibt.› Das hat er dann eingesehen.»

Harry John Kennedy lebt seit 27 Jahren in der Schweiz und seit vier Jahren in Basel. Seine drei Kinder sind in seinem Herkunf­stland Nigeria und wohnen bei der Mutter. Irgendwann sollen sie zu ihm nach Basel ziehen. Aber zuerst müssten sie erwachsen werden und «die afrika­nische Kultur» vor Ort erfahren, sagt er. Wenn seine Kinder dann eines Tages nachziehen, müssen sie es so machen wie ihr Vater: «So schnell wie möglich integrieren. Und immer das Gesetz respek­tieren», sagt Kennedy.

Harry John Kennedy (52) schätzt seine Chancen, gewählt zu werden, als gut ein. (Foto: Adelina Gashi)

«Trotzdem haben Sie bis heute mit Racial Profiling zu kämpfen, werden regel­mässig grundlos kontrol­liert, wie Sie sagen. Wie wollen Sie das in der SVP thematisieren?»

«Ich bin auch für Sicherheit, aber ich will auch dafür sorgen, dass Menschen wie ich, mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, eine Stimme in der Politik bekommen und bei solchen Themen wie Diskri­mi­nierung vermitteln können.»

Kennedy ist Doppel­bürger. Über Andreas Glarners Forderung, Menschen mit zwei Pässen nicht mehr ins Parlament zu lassen, sagt er: «Wer sagt das? Andreas Glarner, nicht die SVP.»

Die SVP im Dilemma 

Für Nataliya Lutsenko ist Andreas Glarner jemand, der sich noch traue, seine Meinung kundzutun. Ich treffe Lutsenko an einem wolken­ver­han­genen Sonntag­morgen in einer Riehener Bäckerei für Kaffee und Gipfeli. Lutsenko zog vor vierzehn Jahren aus der Ukraine in die Schweiz. Heute lebt sie in Riehen, wo sie auch als Pflegerin bei der Spitex arbeitet. Sie will für die SVP diesen Herbst in den Grossen Rat ziehen und hat sich die Basler, Riehener und Schweizer Wappen, nach ihrer Einbür­gerung vor einem Jahr, auf den Unterarm tätowiert. Im Gespräch outet sie sich als Fan des auslän­der­feind­lichen Aargauer Natio­nalrats Andreas Glarner. Nach dem Eklat und der in den TX-Medien aufge­bauschten Doppelbürger*innen-Debatte zieht sie aber sämtliche Zitate zurück.

Irgendwie offenbart Lutsenko mit ihrem Rückzieher das Dilemma, in dem die Partei steckt, die sich jahrzehn­telang aus der Fremden­angst genährt hat. Die Diskussion, wie und vor allem ob die SVP das vorhandene Potenzial an Wähler*innen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund heben kann, könnte zur nächsten Zerreiss­probe für die rechte Partei werden.

So wird Glarner etwa vom ebenfalls ganz rechts politi­sierend Partei­freund Zanetti vorge­worfen, sein «Hass gegegen alles», was er für «unschwei­ze­risch» halte, nehme «patho­lo­gische Züge an». Der Jung-SVPler Sam Büsser wirft Glarner gar Steuer­gel­derver­schwendung mit seinem Doppelbürger*innen-Vorstoss vor:

SVP-Mitglieder distan­zieren sich von Glarners Vorstoss.

Das Dilemma ist offen­sichtlich. Wenn die SVP aufhört, krampfhaft zwischen falschen und richtigen Schweizer*innen zu unter­scheiden, kann sie zwar das durchaus vorhandene Potenzial an Wähler*innen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund heben, verliert aber aus Sicht ihrer eidge­nös­si­schen Stammwähler*innen ihren einzigen politi­schen Raison d‘etre.

Die Migra­ti­ons­rea­lität ist beim «Volch» angekommen. Man darf gespannt sein, wie der Marsch durch die rechte Insti­tution von Suat Nuhija, Harry John Kennedy und Nataliya Lutsenko weitergeht.

 

Dieser Beitrag erschien bei Bajour, der neuen Online-Stimme in Basel. Das Medium schaut auf die Hinter­gründe und Themen, die anderswo im Newsge­witter liegen bleiben.
  1. Itschner Helen

    Nein machen Sie bitte ja kein Bircher­müesli aus der Schweiz. Reicht ein einfacher Beruf / beinahe Arbeiter, für die Politik?(…)

    Die Schweiz besteht bald nur noch aus Ausländern; und jetzt sollen noch mehr “herge­stellt” werden? Da bin ich grund­sätzlich dagegen. Wir haben genug quali­fi­zierte Schweizer und solche, die mehr als froh wären eine Stelle zu haben und hart dafür kämpfen.

    Nichts gegen andere Natio­na­li­täten, aber irgendwo hat es seine Grenzen.

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