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(K)ein Handschlag – (k)ein Problem? Ein Plädoyer für Verständigung

Kürzlich sorgte ein ausbleibender Handschlag auf der internationalen Bühne für Debatten. Dabei handelt es sich beim Handschlag um keine universelle Geste. Warum der Handschlag-Verzicht keine Ablehnung bedeutet, und wie er als Einladung zum Verständnis dienen kann – ein Gastbeitrag von Khalid Rami.

Dass wir in einer Welt leben, in der Menschen unter­schied­liche Weltan­schau­ungen und Gewohn­heiten haben, ist nichts Neues. Wann zum z’Nacht gegessen wird, ob eine koschere, halale oder vegane Wurst auf dem Teller liegt, wer eine Trink­runde bezahlt, ob nach dem Toilet­tengang mit WC-Papier abgetupft oder mit Wasser nachge­spült wird, und ob bei der Grill­party das Essen bereit­steht, oder man die Würstchen selbst mitbringen muss, wird je nach religiösem oder kultu­rellem Kontext ganz unter­schiedlich gelebt und gehandhabt.

Regel­mässig sorgen unter­schied­liche Gewohn­heiten aller­dings für hitzige Diskus­sionen, und zwar egal wie sehr man sich darum bemüht, sie sachlich anzugehen – wie z.B. Begrüs­sungs­ri­tuale im musli­mi­schen Kontext.

Handschlag-Debatten

So wurde kürzlich ein nicht statt­ge­fun­dener Handschlag auf inter­na­tio­naler Bühne medial ausge­schlachtet – es geht um die Begrüssung zwischen der deutschen Aussen­mi­ni­sterin Annalena Baerbock und den syrischen Macht­haber Ahmed al-Sharaa, der auf einen Handschlag mit der Aussen­mi­ni­sterin verzichtete.

Während westliche Medien den ausblei­benden Handschlag zum diplo­ma­ti­schen Obergau und als Indikator um den Stand der Frauen­rechte in Syrien hochsti­li­sierten, blieb die Resonanz dazu in anderen Teilen der Welt, z.B. Asien, völlig aus.

Dabei gibt es gute Gründe, besorgt über Frauen­rechte in Syrien zu sein. Diese an einem ausblei­benden Handschlag zu messen, ist jedoch alles andere als aussa­ge­kräftig, zumal wir uns noch sehr gut daran erinnern, wie der kürzlich gestürzte Diktator Assad nicht zuletzt aufgrund «westlicher Gepflo­gen­heiten» und von westlichen Staaten als Vorzeige-Politiker hofiert wurde – während sich kaum jemand über seine Menschen­rechts­ver­let­zungen echauffierte.

Dabei gibt es gute Gründe, besorgt über Frauen­rechte in Syrien zu sein. Diese an einen ausblei­benden Handschlag zu knüpfen, ist jedoch alles andere als aussagekräftig.

Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass ein Verzicht des Handschlages so breit debat­tiert wird. Bereits 2015 sorgte die Weigerung zweier Schüler in Therwil BL, eine Lehrerin mit Handschlag zu begrüssen, für eine landes­weite emotional aufge­heizte Debatte um «westliche Werte» und Integration.

Es folgten ein Kompromiss durch die Schul­leitung, die den Schülern zugestand, ihre eigene Entscheidung zum Handschlag zu treffen, mit dem Vorbehalt, dass ein Verzicht des Handschlags auch bei männlichen Lehrper­sonen anzuwenden sei.

Dabei blieb es nicht. Nach einer von der SVP befeu­erten und den Boule­vard­medien breit­ge­tre­tenen Diskussion folgte ein durch die Basel­bieter Regierung verord­neter Hände­druck­zwang mit Androhung von Bussgeldern. Daraufhin kam es zum Rechts­streit, bei dem das Kantons­ge­richt aller­dings kein inhalt­liches Urteil abgab, da es die Beschwerde der Familie aus formellen Gründen zurückwies. Der Fall erregte inter­na­tio­nales Interesse und es folgten Bericht­erstat­tungen von Washington bis Doha.

Doch weshalb kommt es zu solch hoch emotio­nalen Reaktionen wie dieser? Wie kann man sich die Eskala­ti­ons­spirale erklären, die als Politikum und juristi­scher Rechts­streit endete? Und ist kein Handschlag ein tatsäch­liches Versagen der Integration und eine Aberkennung westlicher Werte? Oder ist die Empörung über den Nicht-Handschlag ein Versagen, andere Beweg­gründe verstehen zu wollen? 

Kultu­reller und religiöser Kontext

Der Handschlag ist eine aus dem alten Orient stammende Geste und symbo­li­siert in westlichen Ländern Respekt, Vertrauen und Gleich­be­rech­tigung. Er dient dazu, die Kommu­ni­kation zu erleichtern und Vertrauen aufzu­bauen. Doch nicht alle Kulturen teilen diese Auffassung und prakti­zieren diese Geste aktiv. So beschränkt sich der Handschlag auf dem indischen Subkon­tinent auf Begeg­nungen zwischen Männern, und ist im chine­si­schen und japani­schen Raum nach wie vor eher untypisch. Rein kulturell handelt es sich beim Handschlag also keineswegs um eine univer­selle Geste.

Auch im religiösen Kontext gilt der Handschlag in Teilen des ortho­doxen Judentums, im Islam und Hindu­ismus als unüblich. Jede dieser Religionen verfügt dabei über ihre eigene religiöse Beurteilung und einen inner­theo­lo­gi­schen Austausch zu dieser Thematik.

Viele religiöse Jüdinnen und Juden befolgen ein Konzept der Achtsamkeit bezüglich Berüh­rungen und Kontakten, welches sich «Schomer Negia» nennt, und vermeiden ganz grund­sätzlich jegliche Berührung des anderen Geschlechts. Ob es ein expli­zites theolo­gi­sches Verbot gibt, ist umstritten.

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Auch in vielen musli­mi­schen Gesell­schaften gibt es eine generelle religiös betonte Zurück­haltung in Bezug auf Körper­kontakt, insbe­sondere zwischen Männern und Frauen, die nicht mitein­ander verwandt sind. Diese Haltung basiert auf dem Wunsch, körper­liche Distanz im inter­ge­schlecht­lichen Umgang ausserhalb des engen Famili­en­kreises zu bewahren.

Religiöse Beweg­gründe sind im Rahmen der Religi­ons­freiheit besonders geschützt.

Die Gemein­sam­keiten mit Teilen des ortho­doxen Judentums sind dabei sofort ersichtlich und helfen, in der inter­re­li­giösen Verstän­digung Brücken zu bauen. Erstaunlich hingegen bleibt, dass bei der Empörungs­welle zur Handschlag­de­batte jüdische Beweg­gründe gänzlich ausge­lassen werden, während islamische Beweg­gründe und eine damit losge­tretene Integra­ti­ons­de­batte regel­mässig im Fokus stehen.

Die Diffe­ren­zierung zwischen religiösen und kultu­rellen Gegeben­heiten ist wichtig. Denn während kultu­relle Unter­schiede durch inter­kul­tu­relle Empathie und gegen­sei­tiges Verständnis überbrückt oder verhandelt werden können, sind religiöse Beweg­gründe im Rahmen der Religi­ons­freiheit besonders geschützt. So gilt das Recht auf religiöse Selbst­be­stimmung als integraler Gedanke der Menschenrechte.

Die Diskussion über den Handschlag oder sein Ausbleiben sollte jedoch nicht zu einem Symbol des Konflikts zwischen Kulturen und Weltan­schau­ungen werden. Vielmehr kann sie als Einladung zu gegen­sei­tigem Verständnis und Respekt dienen. Dafür sind aber Finger­spit­zen­gefühl, und ein ehrlicher und von Respekt geprägter Dialog in einer geschützten Umgebung notwendig.

Was bedeutet der Handschlag-Verzicht?

Wenn sich eine Person aus religiösen Gründen und im Rahmen ihrer Selbst­be­stimmung und Religi­ons­freiheit gegen einen Handschlag und für eine andere Begrüs­sungsform entscheidet, ist das weder als Integra­ti­ons­ver­sagen noch als Radika­lität des religiösen Weltbilds zu taxieren. Denn aus musli­mi­scher Perspektive bedeutet der Verzicht eines Handschlags nicht, jemanden abzulehnen oder gar gering­zu­schätzen, sondern persön­liche Überzeu­gungen und religiöse Werte zu wahren, und die eigene sowie die körper­liche Integrität des Gegen­übers zu respektieren.

Welchen Mehrwert bringt ein Insistieren auf den Handschlag, ausser dem Aufpo­lieren des eigenen Egos?

Kritiker*innen sollten sich die Frage stellen, ob sie diese Integrität tatsächlich verletzen wollen, indem sie ihre eigenen Wertvor­stel­lungen über das Wohl des Gegen­übers stülpen, um sich in egoisti­scher Manier besser zu fühlen. Denn welchen Mehrwert bringt ein Insistieren auf den Handschlag, ausser dem Aufpo­lieren des eigenen Egos?

Auch das Argument der fehlenden Gleich­be­rech­tigung und damit verbun­denen Diskri­mi­nierung überzeugt nicht, da eine alter­native Begrüs­sungsform keineswegs eine Diskri­mi­nierung oder Ungleich­be­handlung bedeuten muss, solange das eigene wie auch das Selbst­be­stim­mungs­recht des Gegen­übers respek­tiert und wertge­schätzt werden.

Weshalb gibt es denn bei Begrüs­sungen für Frauen oft ein Küsschen auf die Wange, während Männer einander die Hand geben? Ginge man nach demselben Schema wie der Handschlag-Debatte, wäre auch diese Art der Begrüssung diskri­mi­nierend (indem Frauen eine Begrüssung durch die Hand verweigert wird) und mögli­cher­weise auch übergriffig, da durch das Küsschen ungefragt Nähe erzeugt wird – auch wenn das Gegenüber lieber darauf verzichten würde.

Und wenn wir schon bei Fragen der Diskri­mi­nierung sind –  stellt sich bei einem oder einer Bio-Schweizer*in, der oder die auf den Handschlag verzichtet, denn auch plötzlich die Integra­ti­ons­frage? Und wie sieht es bei Personen aus, die seit Corona nicht darauf aus sind, jeder Person die Hand zu geben – und gute gesund­heit­liche Gründe dafür haben?

Auch ein freund­liches Lächeln, ein charmantes «Grüessech» oder das Auflegen der Hand aufs Herz können respekt­volle Alter­na­tiven zum Handschlag sein.

All das zeigt, dass Schwarz-Weiss-Denken uns in der Diskussion nicht weiter­bringt, da die indivi­du­ellen Gründe für eine derartige Entscheidung mannig­faltig divers sein können.

Auch ein freund­liches Lächeln, ein charmantes «Grüessech» oder das Auflegen der Hand aufs Herz können respekt­volle Alter­na­tiven zum Handschlag sein. Sie signa­li­sieren ebenso Würdigung und Respekt, ohne dass eine körper­liche Berührung statt­finden muss. Gesten wie diese haben in grossen Teilen der Welt eine tiefge­hende symbo­lische Bedeutung und können universell verstanden werden. Diese Werte zu akzep­tieren, bedeutet keineswegs die Aufgabe der eigenen. Es strahlt vielmehr emotionale Intel­ligenz, ein tiefer­grei­fendes Verständnis des Gegen­übers sowie den Respekt vor persön­lichen Grenzen aus.

Dies gilt gleich­zeitig auch als Auffor­derung an die Schweizer Medien­land­schaft, sich als vierte Gewalt an einer bedeu­tungs­vollen Debatte konstruktiv zu betei­ligen, und den oft von Populismus gezeich­neten Weg schnell­fa­bri­zierter und reisse­ri­scher Schlag­zeilen zu verlassen.

Letztlich geht es nicht darum, einen bestimmten Ritus durch­zu­setzen, sondern den Respekt und das Verstehen des Gegen­übers in den Mittel­punkt zu stellen. Denn die univer­sellen Werte der Liebe, Wertschätzung und des Respekts, die durch diese Gesten übermittelt werden, verbinden die Schweiz mit der gesamten Welt.

 

Von Rami Khalid

 

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  1. Danke! Für mich als Lehrerin ein sehr wertvoller Text.

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