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Liebe Zweifler: Alles unten Kontrolle!

Die Liebe unserer Redaktorin ist aus Eritrea in die Schweiz geflüchtet. Dass die beiden zusammen sind, nehmen längst nicht alle locker.

Nein, das ist kein Tippfehler im Titel. «Alles unten Kontrolle», sagt Simon, um mir zu versi­chern, dass alles okay ist. Manchmal sagt er auch: «Alles Ordner!» Ich hoffe, dass sein Deutsch nie zu gut für diese Fehler wird.

Als wir uns kennen­lernten, sprach Simon kaum Deutsch und ich kein Wort Tigrinya. Die ersten paar Monate unserer Beziehung wären ohne Überset­zungs-Apps kaum zu bewäl­tigen gewesen. Mittler­weile verstehen wir uns meistens ohne Probleme und haben unsere eigene Sprache entwickelt. Deutsch, Englisch, Italie­nisch und Tigrinya ergeben zusammen den Klang unserer Beziehung.

«Deutsch, Englisch, Italie­nisch und Tigrinya ergeben zusammen den Klang unserer Beziehung.»

Ganz am Anfang unserer Liebe waren wir in Zürich zu Besuch bei Simons Onkel, der sich später als sein Cousin heraus­stellte, zwar nicht direkt, aber irgendwie eben schon. Das ganze Wochenende verlief planlos. Wir wollten bereits am Freitag los, nein, doch lieber am Samstag, oder doch, Freitag passte schon. Auf der Hinfahrt stellte sich heraus, dass wir gar nicht wirklich nach Zürich mussten, denn der Cousin-Onkel lebte irgendwo ausserhalb.

Simon hatte keine Ahnung, wie das Dorf hiess, in dem wir erwartet wurden, nur, dass wir einen Zug und einen Bus nehmen mussten, um am Arsch der Welt anzukommen. Endlich dort, erwartete uns Beraki (so heisst der Cousin-Onkel) grinsend und in einem Topf rührend, dessen Inhalt eine ganze Kaserne hätte füttern können. Wir blieben die ganze Nacht wach und redeten. Am nächsten Morgen erwachte ich unter dem wachsamen Blick einer Figur der Heiligen Jungfrau Maria. Beraki machte sich unter­dessen im Bad für eine Hochzeit parat, oder war es eine Taufe, bzw. Beerdigung? So genau wusste er es selbst nicht und wahrscheinlich war es auch nicht so wichtig.

Simon und ich beschlossen, uns die Zeit totzu­schlagen, und landeten schliesslich in Zürich. Als wir in einer Bar sassen, die Cocktails bezahlt aber noch nicht ganz ausge­trunken, klingelte das Telefon und Simon wechselte kurz ein paar Worte auf Tigrinya. Plötzlich stand er auf, und bevor ich wusste, was geschah, rannten wir über die Bahnhof­brücke. Beraki stand am anderen Ende und wir folgten ihm in ein Auto. Da sass ich nun – ein Unbekannter neben mir, ein Unbekannter am Steuer und alles redete wild auf Tigrinya durch­ein­ander. Wer die Sprache schon einmal gehört hat, weiss, dass sie das Gegenteil von sanft und langsam ist.

«Eine Situation nicht unter Kontrolle zu haben, kann beruhigend sein.»

Wir fuhren durch die Nacht. Ich schaute aus dem Fenster und merkte, dass ich mich schon lange nicht mehr so ruhig gefühlt hatte. Eine Situation nicht unter Kontrolle zu haben, kann beruhigend sein – unter den richtigen Umständen. Das Leben lässt sich grund­sätzlich nicht kontrol­lieren. Unter diesen Umständen vielleicht noch weniger als sonst.

Ich bin mit einem Flüchtling zusammen. Ausserhalb des Kontextes dieses Artikels würde ich das niemals so sagen. Ich sage vielleicht: «Mein Freund kommt aus Eritrea.» Oder etwas in die Richtung. Das Wort Flüchtling finde ich schrecklich, ebenso wie die Begriffe «Ausländer» oder «Asylant». Dass der Mensch, den ich liebe, sein Land aus kompli­zierten Gründen verlassen hat, spielt in unserer Wahrnehmung unserer Beziehung eine wesentlich kleinere Rolle als in der Wahrnehmung der Menschen um uns herum. All die Faktoren, die für andere Hinder­nisse darstellen – Sprache, Kultur, Religion, die Unsicherheit – sind für uns völlig normale Bestand­teile unseres Zusammenlebens.

Es kommt vor, dass Leute uns darauf ansprechen. Ihn übrigens genauso wie mich; denn Schwei­ze­rinnen haben unter einigen Eritreern den Ruf, schwierige und anspruchs­volle Partne­rinnen zu sein. Diese Leute stellen meist unsere grund­le­gende Kompa­ti­bi­lität in Frage: Intel­lek­tuell, kulturell und sozial. Den konkreten Bedenken, die die Menschen mir gegenüber äussern, möchte ich hier nicht zu viel Platz geben. So viel sei gesagt: Auch Leute, die auf den ersten Blick jung und cool und links wirken, hegen teils schockierend fremden­feind­liches und ethno­zen­tri­sches Gedankengut.

«Was antwortet man diesen Leuten? Stellt man den Partner als optimalen Flüchtling dar?»

Was antwortet man solchen Leuten? Hält man ein feuriges Plädoyer für den unglaublich «guten Charakter» seines Partners? Stellt man ihn als den optimalen Flüchtling, als Integra­ti­ons­wunder, dar? Ich komme in solchen Momenten oft auf die Geschichte im Auto zurück. Denn wenn man mit dem richtigen Menschen zusammen ist, sind selbst die schwie­rigen Momente nur halb so schlimm. Dann verblassen all die vermeint­lichen Hinder­nisse, die die Zweifler sehen. Was zählt, und ich glaube, das gilt für alle ungewöhn­lichen Bezie­hungs­kon­stel­la­tionen, ist, dass sich zwei Menschen aufrichtig lieben. Dann ist alles Ordner.

 

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