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Massenproteste in Serbien: «Die Diaspora ist nervös und verfolgt alles via Social Media»

In Serbien demonstrieren seit Monaten Studierende gegen Korruption in der serbischen Regierung. Am Freitag fand ein Generalstreik statt, an dem Zehntausende von Menschen teilnahmen. Auch in Bern zeigten sich Menschen solidarisch mit der Bewegung.

Seit Monaten demon­strieren Zehntau­sende von Menschen in Serbiens Städten gegen Korruption und Gewalt ihrer Regierung. Am Freitag fand schliesslich ein General­streik statt, an dem die Arbeit nieder­gelegt wurde und die Schulen geschlossen blieben.

Auch in Bern solida­ri­sierten sich rund 80 Personen am Bundes­platz mit den Demon­strie­renden in Serbien. Aleksandra Z., eine der Teilnehmer*innen, sagt, die Zusam­men­kunft sei spontan organi­siert worden: «Die Menschen in der Diaspora sind sehr nervös. Wir verfolgen das alles via Social Media, via Nachrichten und Chats. Die serbi­schen Medien berichten überhaupt nicht über die Demon­stra­tionen.» Beunru­higend sei insbe­sondere auch die Gewalt, mit der Vučićs Schlä­ger­trupps gegen die Demon­strie­renden vorgehen würden. Dagegen wolle man ein Zeichen setzen.

Einsturz des Bahnhof-Dachs in Novi Sad

Als Ausschlag der gegen­wär­tigen Massen­pro­teste in Serbien gilt der Zusam­men­sturz des Dachs am Bahnhof von Novi Sad am 01. November 2024. Dabei kamen 14 Menschen direkt ums ums Leben eine weitere Person verstarb im Krankenhaus. Das Bahnhofs­ge­lände war wenige Jahre zuvor saniert worden – offenbar waren aber keine Mindest­stan­dards einge­halten worden. Da eine chine­sische Firma beim Bau im Spiel war, stehen die Verträge unter Verschluss. Am Anfang der vorerst lokalen Proteste rund um Novi Sad stand die Forderung nach Trans­parenz, resp. die Bekanntgabe wer für das Bauver­sagen zuständig war.

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Die lokalen Behörden und die Polizei reagierten mit Repression auf die Proteste, indem Gewalt und Tränengas gegen die Demon­strie­renden einge­setzt wurden. Die Regierung Vučićs ging auch nicht auf die Forde­rungen nach Trans­parenz ein, sondern framte die Demon­stra­tionen als regie­rungs­feindlich, resp. als «Abspal­tungs­ten­denzen» der Vojvodina.

Die Vojvodina ist eine Region im Nordwesten Serbiens, deren Haupt­stadt Novi Sad ist, wo das Bahnhofs­un­glück stattfand. Die Region gilt als multi­eth­nisch, so leben dort z.B. viele Serb*innen ungari­schen oder rumäni­schen Ursprungs – aller­dings gibt es keine relevanten Unabhän­gig­keits­be­stre­bungen auf dem Gebiet.

Ausweitung der Proteste

Auf das ganze Land ausge­weitet haben sich die Proteste schliesslich, als Studie­rende der Akademie für Darstel­lende Künste in Belgrad eine Schwei­ge­minute für die Opfer des Baupfu­sches abhielten und von den Behörden dafür angegangen wurden. 

Dies sorge für Empörung im ganzen Land, andere Studie­rende traten den Protesten bei und besetzten ihre Fakul­täten. Sie werfen der Regierung Korruption beim Umbau des Bahnhofs­ge­ländes in Novi Sad vor und fordern eine Offen­legung der unter Verschluss stehenden Baudo­ku­mente, wie auch eine Straf­ver­folgung jener, die für den Einsturz verant­wortlich sind.

Viele sehen die Proteste als Kampf gegen politische Willkür und fordern rechts­staat­liche Struk­turen, resp. dass das Recht für alle gilt. So prote­stieren sie gegen die Gewalt, mit der Vučić gegen die Demonstrant*innen vorgeht, und fordern eine Straf­ver­folgung aller Personen, die für Angriffe auf Schüler*innen, Studie­rende und Demonstrant*innen durch­ge­führt haben. 

Schlä­ger­trupps gegen Studierende

So mischten sich Schlä­ger­trupps unter die Demon­strie­renden und sorgten für gewalt­volle Ausein­an­der­set­zungen – Video­auf­nahmen zeigten später, dass es sich dabei um Anhänger von Vučićs Partei SNS handelte.

«Wie wollt ihr jemanden festnehmen, der kein Gesetz gebrochen hat? Seid ihr noch ganz sauber? Wascht euch mit kaltem Wasser das Gesicht.»

Auch fuhren während der Proteste bereits mehrmals Autos in Demon­strie­rende, was von der Regierung nicht geahndet sondern entkri­mi­na­li­siert wurde. So plädierte Vučić am 01.12.24 für Straf­freiheit gegenüber einem Autofahrer, der einen Demon­stranten angefahren hatte. «Wie wollt ihr jemanden festnehmen, der kein Gesetz gebrochen hat? Seid ihr noch ganz sauber? Wascht euch mit kaltem Wasser das Gesicht», sagte er bei einer Press­kon­ferenz dazu. 

Abgesehen von derart offen­sicht­lichen Bedro­hungen setzen Anhänger*innen von Vučićs Partei Eltern der Studie­renden unter Druck – in Serbien sind viele Leute direkt beim Staat beschäftigt und haben Angst, bei Kritik gegenüber staat­lichen Insti­tu­tionen ihre Arbeit zu verlieren.

Feinde «von innen und von aussen»

Die Regierung und die staats­treuen Mainstream-Medien werfen der Bewegung indes vor, von Opposi­tio­nellen und auslän­di­schen Geheim­diensten angesta­chelt worden zu sein, mit dem Ziel, Serbien zu schaden. Zuletzt war vom kroati­schen Nachrich­ten­dienst die Rede, der die serbi­schen Univer­si­täten unter­wandert haben soll. 

Vučić selbst hielt am Freitag eine Rede in der serbi­schen Stadt Jagodina, die als Hochburg seiner Partei gilt. Auch an diesem Event nahmen Zehntau­sende von Menschen Teil. Dort betonte er, dass Serbien «von inneren und äusseren Kräften bedroht» werde, und sich dagegen zur Wehr setzen müsse. Weiter kündigte er für März die Formation einer Bewegung an, um seine Regierung zu stützen.

Schweigen wegen Lithium-Deals?

Es handelt sich bei den Protesten um die grössten Proteste seit der 2000er-Jahre. Dazwi­schen gab es aber immer wieder Proteste der Bevöl­kerung gegen Vorhaben der serbi­schen Regierung, z.B. gegen den Lithium-Abbau im Jadar-Tal, in welchem eine der grössten Lithi­um­minen Europas errichtet werden soll. Viele Bürger*innen und Umweltaktivist*innen befürchten deswegen schwer­wie­gende Umwelt­schäden, insbe­sondere die Verschmutzung von Wasser und Boden.

Erst im Juli 2024 unter­zeich­neten die EU und Serbien ein Abkommen, dass der EU den Zugang zu in Serbien abgebauten Rohstoffen ermög­lichen soll, u.A. für die Produktion von Batterien oder Elektro­fahr­zeugen. An der Unter­zeichnung nahmen unter anderem Bundes­kanzler Olaf Scholz, der serbische Präsident Aleksandar Vučić und der Vizeprä­sident der EU-Kommission, Maroš Šefčovič, teil.

Während in Serbien derzeit massenhaft Menschen für mehr Rechts­staat­lichkeit auf die Strassen gehen, ist das gewalt­volle Vorgehen der serbi­schen Regierung im Ausland kein Thema. Kritiker*innen befürchten, dass ein Grund für das politische Schweigen die anste­henden Lithium-Deals sein könnten.

 

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