Neue Medienformate erzählen Migration aus einer eigenen Perspektive. Was bedeutet das für die Betroffenen? Ein Beitrag von Gastarbeiterin Shqipe Sylejmani.
Was haben Magazine wie «baba news», Events à la «Late Night Show Moumouni/Gültekin» und «Transalpine Festival» sowie Podcasts wie «Kurds & Bündig» oder «Diasboah» gemeinsam? Es sind neue, laute Stimmen mit Migrationsbiografie in der Medienlandschaft, die aus ihrer Perspektive über das Schweiz- und das Weltgeschehen berichten. Für jenen Teil der Gesellschaft, der bis anhin diesen sicheren Raum zum Austausch misste.
«Diese neuen Kanäle ermöglichen die Ergründung und Entwicklung der eigenen Identität und Kultur»
«Hier sind wir unter uns», erklärte ich einer befreundeten Journalistin, weshalb die Gespräche dieser «neuen Medienmacher» gelassener, intimer, tiefergehend wirken. Das «Wieso» ist einfach erläutert: das grobe Zurschaustellen von Themen in herkömmlichen Medien geschah seit Jahrzehnten durch Aussenstehende und ohne Rücksicht darauf, welche Identitätszerrüttung dies für Menschen aus den betroffenen Ländern zur Folge haben würde. Diese neuen Kanäle ermöglichen die Ergründung und Entwicklung der eigenen Identität und Kultur – und genau dies ist eine Bereicherung für die gesamte Gesellschaft.
Das Ergebnis zeigt sich in der Herangehensweise an politische Themen: während in den Nachrichten über die Revolution der iranischen Frauen vom Kopftuch berichtet wird, sprechen wir «unter uns» über einen Islam, der LGBTQIA+ und die Auslebung eines liberalen Glaubens verinnerlicht, und wie wir diesen vorantreiben können. Während über den Schutzstatus von Ukrainern berichtet wird, besprechen wir die Auslegung dieser Rechte für alle Menschen mit Asylbiografie, und wie wir auf institutionellem Weg Besserungen bewirken können. Während über Lehrpersonenmangel und die Herausforderungen an Schulen diskutiert wird, sprechen wir über den Umgang mit Rassismus, geben Workshops und halten Lesungen, um jungen Menschen Antworten und Auswege zu bieten.
«Oft kommt die Frage: Wo erlebst du denn Rassismus?»
Verweise ich in Interviews auf diese – für mich – Quellen, kommt oft eine Gegenfrage: «Wo erlebst du denn Rassismus?» Unmissverständlich wird klar, dass mit dieser Frage die Existenz von Rassismus in der Schweiz ergründet werden will. Doch was mit dieser Frage (gewollt oder nicht) noch impliziert wird, ist eine Bewertung dieser Rassismuserfahrungen, indem Betroffene mit einem «aber ich wurde als Kind auch gehänselt» degradiert werden, und ihnen ihre Erlebnisse, Traumata und Chancenlosigkeit aufgrund dieser Diskriminierung abgesprochen werden. Die Frage sollte nicht lauten, wie ich Rassismus erlebe, sondern wie wir Rassismus verhindern können. Denn dies stellt nicht die Existenz der Diskriminierung infrage – sie hebt sie vor.
Perspektive. Der Perspektivenwechsel ist nötig, damit wir nachvollziehen können, dass wir alle von rassifiziertem Verhalten betroffen sind. In der Schule, wenn die Lehrkraft es nur «gut meint» und einen aufgrund der vermeintlich fehlenden Unterstützung zuhause in eine tiefere Stufe einteilt. Bei der Suche nach Lehrstellenplätzen, «weil jemand ja auch Putzfrau, Bauarbeiter und Maler sein muss». Im Beruf, weil die Kundschaft diesen «komplizierten Namen nicht aussprechen» könne. Und in jedem weiteren Schritt unseres Lebens. Genau diesen Perspektivenwechsel machen diese neuen Medien. Sie sind ein Zuhause, in welchem wir uns gegenseitig bestärken und berühren, und in welchem wir Hoffnung schöpfen, mit dem Wissen, dass unsere Schweiz nun auch von uns mitgestaltet wird.
Diese Kanäle sind unabdingbar, bedeutend und kostbar. Und sie werden täglich von Abertausenden genutzt, weil sie einen wertvollen und nachhaltigen Beitrag für alle in unserer Schweizer Gesellschaft erbringen. Besonders, wenn ihre Inhalte nicht mehr nur «unter uns» genossen werden.
ist Autorin und schreibt über das Leben zwischen den Kulturen in der Schweiz und im Kosovo. Ihre grösste Freude: an Schulen mit ihren Büchern die Zukunft von morgen kennenzulernen.
Hallo Shqipe
Hier schreibt eine Schweizerin, die weiss, dass im Grunde alle Menschen einen Bereich haben, wo sie sich aufgehoben fühlen. Wenn wir einen Kreis haben, wo dies der Fall ist, ist der Aussenraum darum herum für die Einzelne/den Einzelnen nicht wirklich lebenswichtig. Wenn wir das nicht haben, zum Beispiel weil wir allein hier (in der Schweiz) angekommen sind, oder als Schweizer, weil wir uns in unserer Umgebung selber fremd fühlen, wird das Drumherum möglicherweise als “feindlich” angesehen. Lächeln wir über unsere Grenzen hinaus, lächeln ab und zu jemandem zu, der nicht zu uns “gehört”, können wir tolle Gespräche haben, vielleicht im Bus oder Tram, bei einer Veranstaltung, im Ausgang oder so. Also ich freue mich immer, wenn mich jemand anlächelt. Das stellt mich mindestens für Minuten, Stunden oder sogar einen ganzen Tag auf.