Lejla ist alleinerziehend. Der Vater ihres Sohnes will keinen Kontakt zu ihr und dem Kind haben. Was dies für ihren Dreijährigen bedeutet, beschreibt sie in einem Brief.
Als du zwei Jahre alt warst, hast du mich vor dem Schlafengehen plötzlich gefragt, ob du einen Vater hast. Mir wurde ganz warm ums Herz. Ich antwortete ganz schnell mit «ja» und du hast dich mit der Antwort begnügt.
Als du zweieinhalb Jahre alt warst, und wir gerade das Frühstück zubereiteten, hast du mich gefragt, wo dein Vater sei. Ich habe geantwortet, dass er weit weg wohnt, und du hast es so hingenommen.
Kurz vor deinem dritten Geburtstag waren wir in Deutschland bei meiner Mutter. Es klingelte an der Tür, es war mein Bruder. Du hast ihn angeschaut und mich gefragt: «Ist das vielleicht mein Papa?» Ich habe mit «nein» geantwortet, und es war okay für dich. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.
«Ist das mein Papa?»
Einmal wurdest du wütend: «Mein Papa kommt nie, aber wirklich nie!» Und du fügtest hinzu: «Ich liebe meinen Papa aber.» Ich antwortete dir, dein Vater wohne ganz weit weg. Da meintest du: «Dann lass uns zu Papa gehen!» Und du meintest: «Oma wohnt doch auch weit weg und wir gehen zu ihr! Wir können ja mit dem Flugzeug zu Papa.»
Ich habe versucht, dich abzulenken. Doch das Thema beschäftigt dich mehr, als ich es mir jemals vorgestellt hätte, und es tut mir so leid für dich. Ich weiss nicht, was ich dir sagen kann, ohne dich zu verletzen. Ich möchte ehrlich mit dir sein. Aber wie erzählt man einem dreijährigen Kind, dass sein Vater keinen Kontakt zu ihm haben möchte?
«Wie erzählt man einem Dreijährigen, dass sein Vater keinen Kontakt zu ihm haben möchte?»
Deine Fragen hörten nicht auf, also habe ich dir ein Buch gekauft. Es heisst «Mond-Papas». Das Buch zeigt verschiedene Formen von Familien. Dass manche Familien getrennt voneinander leben, dass der Vater manchmal ganz weit weg wohnt und allein leben möchte. Damit konnte ich dich ein wenig beruhigen. Doch in den nächsten Tagen habe ich beobachtet, wie du auf den Mond gesehen hast, als wir auf dem Balkon waren. Dann bist du ins Zimmer gerannt, hast deine Sonnenbrille gesucht, hast sie dir auf die Nase gesetzt, und wieder auf den Mond gesehen. Traurig und enttäuscht sagtest du dann: «Ich sehe gar nichts.»
Als wir in den Sommerferien in der Türkei waren, bist du auf der Strasse zu einem fremden Mann gelaufen, und hast ihm erzählt, dass dein Vater dich nie besuchen komme. Auf dem Flug zurück nach Hause hast du mich gefragt, ob dein Vater zu Hause auf uns warten würde. Die Frage hat mich überrascht, und als ich verneinte, hast du den Mund verzogen und hast geschmollt.
«Papa möchte gar nicht allein leben!»
Einmal, als ich am Telefon war, hast du gefragt, ob ich mit deinem Vater sprechen würde. Ich antwortete: «Nein, mein Schatz.»
Eines Morgens meintest du dann: «Weisst du Mama, Papa möchte gar nicht allein leben! Er möchte mit seinem Kind, mit seinem Onkel und seinem Bruder zusammen leben. Können wir bitte zu ihm?» Ich antwortete: «Nein, mein Schatz, Papa wohnt ganz weit weg und er möchte allein leben.» Da sagtest du traurig: «Das sagst du immer, aber das ist gar nicht so!»
Ich habe dir einen Sitz gekauft, auf dem eine Rakete und ein Mond abgebildet sind. Du: «Mama, können wir mit der Rakete zu Papa fliegen? Papa wohnt doch da.» Ich: «Nein, mein Schatz, dafür musst du erst einmal gross werden.»
Als du bei den Nachbarn warst, und nach Hause gekommen bist, habe ich gefragt, was ihr so gemacht habt. Du sagtest: «Weisst du, Mama, Mehdis Mama und Papa waren zu Hause. Mein Papa ist nie zu Hause.» Ich antwortete: «Aber deine Mama ist doch zu Hause und ich hab dich über alles lieb.» Deine Antwort war: «Aber Papa liebt mich auch!» Ich sagte: «Ja, mein Schatz.»
«Mein Papa macht das auch so.»
Wir sind unterwegs und plötzlich sagst du zu mir: «Weisst du, Mama, Papa fährt auch immer in diese Richtung.» Und manchmal, wenn Kinder von ihren Vätern erzählen, sagst du: «Mein Papa macht das auch so.» Das kriege ich nicht selbst mit sondern von anderen. Eine der Erzieherinnen aus der Kita hat mir erzählt, wie du allen stolz erzählt hast, dass du einen Vater hast, der Omar heisst. Und letzte Nacht vor dem Schlafengehen hast du geweint, und mir erzählt, dass du zu deinem Papa möchtest. Heute sagtest du, dass dein Vater eine Autopanne gehabt hätte, sich am Kopf verletzt habe und deswegen zum Arzt musste.
Das alles zerreisst mich. Ich habe einen Brief an deinen Vater geschrieben, auch wenn es mir schwerfiel. Habe ihm geschildert, wie es dir mit der ganzen Sache geht. Die Antwort steht noch aus. Bald wirst du vier. Und ich hoffe, dass wir eines Tages beide besser verstehen werden.
*Namen von der Redaktion geändert