Rassismus ist auch in der Schweiz alltäglich – mit besonders gravierenden Auswirkungen in der Medienbranche. Ein Erfahrungsbericht.
Liebe Schweizer Medien
Auch wenn es eigentlich eure Aufgabe ist – toll, dass ihr euch jetzt mit dem Thema Rassismus befasst und so eifrig über die BLM-Bewegung berichtet. Doch der Kampf gegen Rassismus findet nicht auf Demonstrationen statt und er hört auch nicht vor der eigenen Haustür auf. Denn in wie vielen eurer Redaktionen arbeiten tatsächlich Schwarze, PoC, Menschen mit Migrationsgeschichte oder Muslim*innen? Und in welchen Chefetagen haben diese tatsächlich etwas zu melden? Ihr werdet sicher selbst zugeben müssen: in nicht sehr vielen.
Als ich mich auf meine erste Stelle in einer Redaktion bewarb, hatte ich ein rund anderthalbstündiges Gespräch mit dem Chefredaktor eines grossen Medienhauses. Er war charmant, humorvoll und schien weltoffen. Am Ende des Gesprächs folgte die Frage, woher denn mein «Name stammt». Ich sagte kurz etwas über dessen Verbreitung und schloss mit «ich selbst habe Wurzeln im Balkan». «Sie sind aber schon hier integriert, oder?», war seine Reaktion darauf. Selbst anderthalb Stunden Gespräch über mein Leben und meinen Lebenslauf hatten anscheinend nicht gereicht, um in ihm das Bild des schmuddeligen Jugos auszulöschen, selbst wenn dieser kurz vor Uniabschluss, mit perfektem Deutsch und ausnahmsweise mal nicht in Trainerhosen vor ihm sass.
«Sie sind aber schon hier integriert, oder?»
Später dann, auf einer anderen Redaktion, wollte man eine Geschichte über Musliminnen machen, die nach einem anti-muslimischen Anschlag in den USA daran gehindert wurden, Blumen vor der US-Botschaft in Bern zu platzieren. Aus muslimischen Kreisen wollte man Empörung hören, um ihnen im selben Atemzug mangelnde Empörung bei Anschlägen von islamistischer Seite vorzuwerfen. Als ich in der Redaktion darauf hinwies, dass eine eigentliche Nicht-Story (die US-Botschaft hinderte im Grunde jeden daran, vor ihrem Gelände Dinge zu deponieren) nicht in eine krumme Islam-Story umgewandelt werden sollte, wurde ich vom Blattmacher mit der Bemerkung «Muslime sind nicht unsere Freunde» abgespeist.
Auf einer der Redaktionen, in denen ich gearbeitet habe, fragte ich eine Kollegin, ob ihre Formulierung, «ausländische Schüler stacheln Schweizer an» im Lead nicht etwas einseitig und irreführend sei. Daraufhin entgegnete sie, sie wolle bei der Leitung nicht unkritisch wirken. Ausserdem würde sie ja die Aussage im Verlauf des Artikels revidieren. Die Redaktorin hat selbst einen Migrationshintergrund.
«Muslime sind nicht unsere Freunde»
Als ich auf einer Redaktion einen Bericht über Muslime mit weiteren Artikeln zum Thema verlinken wollte, fiel mir auf, dass im Hinblick auf den Islam fast ausschliesslich negativ konnotierte Artikel zur Verfügung standen. Später raunte mir ein Kollege zu, das sei doch klar, wenn XY in der Chefetage sass, und ob ich denn nicht gewusst hatte, dass dessen Schwester zum Islam konvertiert sei und er ein Problem mit Muslimen hätte. Nein, hatte ich nicht.
Als unter dem Artikel eines türkischstämmigen Kollegen rassistische Leserkommentare freigeschaltet wurden, liess sich dieser in einer internen E‑Mail zur Frage «welcher Dummkopf hat diese Kommentare freigeschaltet?» hinreissen. Daraufhin wurde er für die Wortwahl schriftlich verwarnt, während der Freischalter keine Konsequenzen tragen musste. Das sind nur einige Beispiele.
Ganz allgemein gleichen viele Redaktionssitzungen den Versammlungen in Altmännervereinen, in denen eine zynische Grundstimmung herrscht, und in denen Kritik an Rassismus als «Gutmenschentum» belächelt wird. Storys werden nicht recherchiert, sondern die ausschlaggebende Frage lautet: «Wie wollen wir die Geschichte erzählen?» – was darauf abzielt, jenen Experten oder Akteuren eine Stimme zu geben, die erfahrungsgemäss die «besten Quotes», sprich die meisten Klicks, liefern. So entstehen Titel wie «Ausländer stimmen nicht im Sinne der Schweiz ab» oder «Der Islam ist eine Gefahr für die westliche Welt». Komplexe Inhalte werden so vereinfacht, dass auch «Ali aus Schlieren, höhö» sie versteht. Schwarze oder asiatisch gelesene Menschen werden in Symbolbildern grundsätzlich nicht gezeigt, weil den Leser*innen dann angeblich «der Bezug zum Thema fehlt».
Wie kann ein schwarzer Autor rassistisch sein?
Die wenigen Redaktor*innen mit Migrationsgeschichte unterliegen währenddessen oft dem Druck, sich als besonders «neutral» beweisen zu müssen, da ihnen allein schon aufgrund ihrer Herkunft eine mangelnde Objektivität oder gar politischer Aktivismus vorgeworfen werden. Sie sind diejenigen, die sich erst recht nicht trauen, bei einer rassistischen Berichterstattung Einwände einzubringen, stattdessen werden sie nicht selten als Hardliner eingespannt. Denn wie kann ein schwarzer Autor rassistisch sein? Wie eine Autorin mit muslimischem Namen anti-muslimisch? Gleichzeitig werden diese Autoren instrumentalisiert, wenn es darum geht, nach aussen hin eine angebliche Expertise, Neutralität oder Diversität zu vermitteln.
Selbst in Redaktionen, die sich bezüglich ihrer redaktionellen Linie als eher progressiv betrachten, werden mangels Diversität im Personal Bilder reproduziert, die einen sehr einseitigen Narrativ verbreiten. Bestes Beispiel dafür ist die SRF-Arena vom 12. Juni 2020, bei der trotz gut gemeintem Titel «Jetzt reden wir Schwarzen!» drei Weisse und ein Schwarzer als Gäste an den Rednerpulten standen. Diese bewusst gewählte Farbenblindheit, die sich trotz massiver Kritik im Vorfeld der Sendung hielt, zeigt, wie naiv oder willkürlich viele Redaktionen mit migrantischen Themen umgehen.
Dass Rassismus in der Schweiz existiert, sollte mittlerweile nun allen klar sein. Im Zentrum der Diskussion sollten nicht mehr Beweise für Rassismus, sondern Lösungsansätze stehen, mit denen wir systematisch gegen strukturellen Rassismus vorgehen können. Hier tragt ihr, liebe Medien, einen grossen Teil der Verantwortung. Denn solange ihr von weissen, privilegierten Männern dominiert werdet, werdet ihr auch deren Narrative in der Welt weiterverbreiten. Solange ihr das tut, seid genau ihr Teil des Problems.
Nun werden sich die Konzern- und Redaktionschefs der Medienhäuser natürlich nicht selbst entlassen. Hier trägt einerseits der Staat die Verantwortung, die Medienvielfalt sicherzustellen und unabhängige Medien zu unterstützen. Wir als Leser*innen tragen unsererseits die Verantwortung, uns kritisch mit Inhalten auseinanderzusetzen und bei rassistischen Beiträgen aktiv und laut zu werden, ganz im Sinne der BLM-Bewegung. Lassen wir sie nicht verstummen.
ist Gründerin und Chefredaktorin des Online-Magazins baba news.
Danke für Ihre wertvollen Einblicke hinter die hippen Kulissen gewisser Redaktionen — es müffelt dort mitunter offenbar immer noch gewaltig!
Ein riesengrosses DANKESCHÖN für diesen Beitrag!
Macht Sinn. Habe mich schon immer gefragt, woher so Schlagzeilen kommen…
Toller Beitrag, vielen Dank!