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«Sie wollen nicht, dass wir mitreden»

Yuvviki Dioh, Diversitätsbeauftrage am Schauspielhaus Zürich, und Critical Race-Theoretikerin Danielle Isler über den Hass, der einem entgegenschlägt, sobald man sich als Schwarze Frau öffentlich exponiert, weshalb «Lauwarm» nicht einmal ein tausendstel Tropfen von kultureller Aneignung ist und was «Allyship» wirklich bedeutet.

Rahel Bains: Sarah Akanji, Hoffnungs­trä­gerin der Zürcher SP, hat vor einigen Wochen angekündigt, bei den Wahlen im kommenden Frühling nicht wieder für den Kantonsrat zu kandi­dieren. Ein Grund dafür: Rassi­stische und sexistische Angriffe. Sie sei in Mails, Briefen und Online-Kommen­taren wiederholt diffa­miert worden. Dabei sei es nicht um ihre politische Arbeit, sondern um ihre Person gegangen. Hat euch diese News damals überrascht?

Yuvviki Dioh: Nein. Aber trotzdem ist es eine Enttäu­schung. Weil: Schon wieder ist so etwas passiert. Schon wieder war die Situation für eine PoC (People of Color, im Singular Person of Color), in diesem Fall eine Schwarze Frau in einer wichtigen Position mit einer wichtigen Stimme, offenbar so schlimm, dass sie sagen musste: Aus Selbst­schutz muss ich da raus. Vielen ist nicht bewusst, in was für Situa­tionen man sich als PoC oder anders margi­na­li­sierte Person in weiss und cis-männlich* dominierten Insti­tu­tionen begibt. Es ist kein geschützter Raum, in der Politik noch viel weniger als an anderen Orten.

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Danielle Isler: Als ich davon hörte, dachte ich: Das Ziel der Rechts­extremen ist erreicht. Sie wollen nicht, dass wir mitreden und haben uns zum Schweigen gebracht. Vor ein paar Jahren war ich Teil eines Forschungs­pro­jektes zum Thema «Hate Speech» an der Univer­sität Zürich. Eine Erkenntnis war, dass so lange Hass gesät wird, bis es der jewei­ligen Person zu viel wird und sie schweigt. Personen, die an die Öffent­lichkeit möchten, werden dadurch abgeschreckt und haben Respekt davor, es überhaupt erst zu versuchen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die grosse schwei­gende Masse – ich spreche von denje­nigen, die sich niemals als Nazis bezeichnen würden – indirekt auch mitver­ant­wortlich für diese Situation ist. Weil diese Masse schweigt, sind sämtliche Aktivist:innen, insbe­sondere BIPoC**-Aktivist:innen, die in der Öffent­lichkeit stehen, regel­mässig Hassreden ausgesetzt.

 

«Im besten Fall war es Kritik, ansonsten Ablehnung und Hass.»

Yuvviki Dioh: Kurz nachdem ich Anfang 2021 dem «Beobachter» ein Interview gegeben hatte, erzählte mir die Journa­listin, dass sie davor selten so viele Online-Kommentare auf einen Artikel erhalten habe. Ein Grossteil des Inhalts war Hass. Ein anderes Mal wurde im «Sonntags­blick» ein Interview mit mir publi­ziert. Mir wurde von einer Freundin geraten: «Wenn der Artikel rausgeht, schaust du deine Mails drei Tage lang nicht an und gibst deinen Account einer anderen, nicht von Rassismus betrof­fenen Person, in Obhut». Und tatsächlich: Die Mails fluteten rein. Im besten Fall war es Kritik, ansonsten Ablehnung und Hass. Und das nur, weil ich einmal in den Medien präsent war. Ich will mir gar nicht ausmalen, was es heisst, in der Politik aktiv zu sein. Und dann gibt es wie gesagt diese grosse Masse von Menschen, die still sind und das Fundament am Leben erhalten, auf das die Rechten aufspringen können.

Welche Gedanken gehen euch durch den Kopf, bevor ihr euch in der Öffent­lichkeit exponiert? 

Danielle Isler: Ich brauchte relativ lange, bis ich den Mut hatte, mich zu exponieren. Der Hass, die Trolle, die Drohungen, denen insbe­sondere BIPoC-Aktivist:innen in der Öffent­lichkeit ausge­setzt sind, schreckten mich ab. Ich entschied mich jedoch irgendwann dazu, laut zu werden, Dinge anzusprechen, um auch die «Silent Mass» auf meine Seite zu ziehen, damit auch sie zu sprechen beginnen. Bei diesem Prozess haben mir die Worte der US-ameri­ka­ni­schen Schrift­stel­lerin und Aktivistin Audre Lorde sehr geholfen: «And when we speak we are afraid our words will not be heard nor welcomed but when we are silent we are still afraid. So it is better to speak remem­bering we were never meant to survive».

Yuvviki Dioh: Ich setze mich derzeit auch mit diesen Fragen ausein­ander. Was passiert, wenn dein Name geläufig wird, du fast schon eine Art öffent­liche Person wirst? Muss ich nun meinen Namen vom Brief­kasten und der Klingel meiner Wohnge­mein­schaft entfernen, weil bei uns auch ein Kind lebt? Und es also nicht mehr nur um meine Sicherheit geht, sondern auch um die der Leute um mich herum?

Nicht nur Sarah Akanjis Geschichte hat für Wirbel gesorgt, sondern auch die vielen Vorfälle und Diskus­sionen rund um kultu­relle Aneignung, Stichwort «Lauwarm», «Das Gleis». Plötzlich hatten alle eine Meinung zur Thematik. Wie hat die Debatte auf euch gewirkt?

Danielle Isler: Kultu­relle Aneignung ist nicht «Lauwarm». Nicht mal ein tausendstel Tropfen davon.

Yuvviki Dioh: Der Begriff «Kultu­relle Aneignung» ist so viel grösser, genauso gross wie der Begriff Kultur an sich. Wir können nicht alles an «Lauwarm» durch­de­kli­nieren, sondern müssen verstehen, was der Begriff bedeutet. Lasst uns über Macht sprechen und Hierarchie-Systeme. Und Fragen wie: Wer profi­tiert davon und wer nicht? Wer wird ausge­grenzt und wer nicht? Über den Fakt, dass weisse Menschen mit Locks als «cool» und «weltoffen» angesehen und meine Haare dafür schnell mal mit «ungepflegt» in Verbindung gebracht werden. «Lauwarm» ist ein Beispiel dafür, wie wir mit materi­eller Kultur und geistigem Eigentum umgehen. Und mit den Fragen, was für histo­rische Hierar­chi­sie­rungen und Macht­dy­na­miken hinter unseren materi­ellen Kulturen stehen, wer darauf zugreifen kann und warum. Aber: Ich gehe nur in diese Debatte rein, wenn wir auch darüber sprechen, wie wir den Begriff von kultu­rellem Austausch abgrenzen. Letzteres passiert sowieso. Ich habe oft erlebt, wie kultu­relle Aneignung aus einem Kultures­sen­tia­lismus und einem Verständnis von Kultur als etwas Stati­sches disku­tiert wurde. Doch das stimmt nicht.

 

«Was mich an der Cultural Appro­priation-Debatte stört, ist, dass sie von Menschen geführt wird, die mit einer Selbst­ver­ständ­lichkeit leben, die wir so noch nie hatten.»

Danielle: Ich forsche zur Konstruktion von rassi­fi­zierten und exklu­die­renden Räumen, insbe­sondere von «geweissten» Räumen. Mich inter­es­siert, wie «Whiteness» konstruiert wird, wie Exklusion im Raum entsteht. Woher weiss beispiels­weise eine BIPoC, dass sie in einem bestimmten sozialen Raum nicht willkommen ist? Es steht ja nicht «Whites only», aber trotzdem spürt sie, dass dieser bestimmte Raum sie nicht willkommen heisst. Dies hängt unter anderem mit Erinne­rungen und Trauma zusammen. BIPoC können diese Exklu­sionen fühlen, die schwierig zu beschreiben und oft schwer nachvoll­ziehbar sind für Menschen, die nicht in einer solchen Haut stecken.

Was sind denn die Eigen­schaften dieser sogenannten «Whiteness»?

Unter anderem «White Ignorance» und «White Innocence». Eigen­schaften, welche die Weisse Vorherr­schaft, auch «White Supremacy» genannt, aufrecht­erhalten. Wir sind übrigens längst nicht die ersten, die zu Cultural Appro­priation, Exklu­sionen und Teilhabe von BIPoC forschen oder sprechen. Der US-ameri­ka­nische Histo­riker, Soziologe, Philosoph und Journalist W.E.B. Du Bois hat vor fast 120 Jahren sein Werk «The Souls of Black Folk» veröf­fent­licht. Darin geht es um das Erbe des Rassismus und seine schäd­lichen Auswir­kungen auf das Leben der Schwarzen Menschen – mit anderen Worten geht es darum, wie Formen von «Whiteness», hier im US-Kontext, sich auf Schwarze Menschen auswirken. Der US-Ameri­kaner Ralph Ellison spricht in seinem Werk «Invisible Man» über die Unsicht­barkeit von Schwarzen Menschen und das perfor­mative Unsicht­bar­machen von Seiten weisser Menschen. Hierbei geht es auch um das beabsich­tigte Ignorieren von Schwarzen Menschen und deren Anliegen.

 

«Versteht ihr, dass ihr die Struk­turen mitge­staltet, ob ihr wollt oder nicht? Ob ihr es böse meint – oder nicht.»

Hast du im Kontext der aktuellen Debatte rund um kultu­relle Aneignung auch solche Muster erkannt?

Danielle Isler: Ja, es wurden Stimmen von Schwarzen Menschen bewusst und perfor­mativ ignoriert, die Geschichte, die hinter der Praxis von kultu­reller Aneignung liegt und der Schaden, der bei Betrof­fenen aus dieser Praxis in der Vergan­genheit entstanden ist und immer noch besteht, war bewusst nicht Fokus der Diskussion. «White Innocence» konnte bei dieser Diskussion auch beobachtet werden, in der Form von Aussagen wie «Das ist doch eine süsse Band. Die haben doch nichts Falsches gemacht.» Daraus resul­tierte auch die Anspruchs­haltung: «Wieso darf ich das und jenes nicht sagen – und BIPoC dürfen das?»

Yuvviki Dioh: «Ich meine es ja nicht böse» ist ein Spruch, der in diesem Zusam­menhang oft fällt. Dahinter steht ein Unver­mögen, sich als Subjekt in Bezug auf diese Welt zu stellen. Doch versteht ihr, dass ihr die Struk­turen mitge­staltet, ob ihr wollt oder nicht? Ob ihr es böse meint – oder nicht. Was mich an der Cultural Appro­priation-Debatte stört, ist, dass sie von Menschen geführt wird, die mit einer Selbst­ver­ständ­lichkeit leben, die wir so noch nie hatten. Ich kann mich nicht so frei bewegen in dieser Welt. Einmal fuhr ich zum Beispiel für eine Tagung nach Leipzig. Vor meiner Anreise fragte ich meine Freund:innen vor Ort, ob es dort für mich sicher sei. Sie sagten mir: «In der Innen­stadt ist es nicht proble­ma­tisch. Aber du verlässt Leipzig nicht. Da draussen ist Chemnitz und alles, was damit zusam­men­hängt.» Oder: Viele meiner weissen Freund:innen schwärmen von Italien. Ich muss mir aufgrund des politi­schen Klimas aber teilweise gut überlegen, in dieses Land zu gehen.

Danielle Isler: Auch in der Schweiz überlege ich mir jeweils gut, wo ich hingehe. Als ich im Rahmen meines Bache­lor­stu­diums Lands­ge­meinden unter­sucht hatte, fuhr ich ins Appenzell, wo sie mich beim Bratwurst­stand wie ein Insekt beäugt und spüren lassen haben, dass ich nicht willkommen bin.

Würdet ihr solche Reaktionen als sogenannte Mikro­ag­gres­sionen bezeichnen?

Danielle Isler: Oft spricht man von Mikro­ag­gres­sionen, dabei sind es eigentlich Makro­ag­gres­sionen. Mit Makro meine ich hier, dass sie Makro, also grössere Auswir­kungen haben können. So erinnere ich mich noch heute an ein Erlebnis, das nicht mehr als 30 Sekunden gedauert hat. Beispiels­weise kam ein Weisser Mann in mein Zugabteil und wollte sich hinsetzen – bis er mich sah und wieder aufstand. Dann ging er ins Abteil nebenan, wo ebenfalls eine Schwarze Person sass, stand wieder auf und rief: «Alles Schwarz hier drin. Alles Schwarz», dann ging er weiter. Dieser Zwischenfall berührt mich noch heute.

Yuvviki Dioh: Im Übrigen finde ich, dass Mikro­ag­gres­sionen nicht weniger ernst und proble­ma­tisch sind als Makroaggressionen.

Danielle Isler: Sie können dein Leben beein­flussen. Weil du Ängste entwickelst und zum Beispiel gewisse Orte meidest oder an bestimmten Anlässen nicht mehr teilnehmen möchtest.

 

«Könnte in Anbetracht der Ressourcen, die wir in der Schweiz haben, noch mehr getan werden?»

Neulich hat eine Person in einem Gespräch darauf beharrt, das N–Wort brauchen zu dürfen. Ich war überrascht, weil ich das von dieser Person nicht erwartet hätte…

Danielle Isler: Der «White Liberal» wird nicht deshalb zu einem Ally, also zu einem Verbün­deten, weil er oder sie es gut meint. Beispiels­weise der Backpacker, der eine PoC- Freundin hat und für wohltätige Zwecke spendet, ist aufgrund dieser Eigen­schaften nicht per se unser Freund. Es gut zu meinen heisst nicht, dass man automa­tisch Ally von margi­na­li­sierten Personen ist. Das Problem ist jeweils, dass so manche «White Liberals» überzeugt davon sind, «gut» und «empathisch» zu sein und alles bezüglich Aktivismus zu wissen. Die Realität ist aber, dass sie oft keine Selbst­re­flexion üben und genau das kann für uns gefährlich werden.

Yuvviki Dioh: Antidis­kri­mi­nie­rungs­arbeit kann durch solche Situa­tionen auch ambivalent werden: Ich arbeite dann mit Menschen, die im Grundsatz ein Verständnis von Diskri­mi­nierung haben aber dann trotzdem eine «Bombe» platzen lassen, wie zum Beispiel in Form von proble­ma­ti­schen Begriffen, die sie dann aber nicht so leicht «aufgeben» können. Dann fragst du dich beispiels­weise: Warum muss ich jetzt mit dir über das N–Wort sprechen? Da suche ich oft die Balance zwischen «Ich will dich jetzt eigentlich nicht davon überzeugen müssen» und «Aber ich weiss, es braucht solche Gespräche, um Trans­for­mation voran­zu­treiben». Es geht mir auch immer um die Frage, ob ich meinen Prinzipien treu bleiben kann.

Stimmen dich solche «Bomben»-Momente manchmal etwas hoffnungslos?

Yuuviki Dioh: Ich habe die Hoffnung nicht verloren, sonst würde ich meinen Job nicht machen. Das, was man jetzt als Diver­si­täts­arbeit bezeichnet, ist nicht neue Arbeit, wir beginnen sie nun einfach zu institutionalisieren.

Eigentlich könnte man meinen, dass Kultur­be­triebe im Vergleich zu anderen Insti­tu­tionen bereits ziemlich «woke» und aufge­schlossen sein müssten, weil sie ja auch als Spiegel unserer Gesell­schaft fungieren sollen. Doch ist das tatsächlich so? 

Yuvviki Dioh: Ich beobachte, dass sich viele Insti­tu­tionen auf den Weg machen, diskri­mi­nie­rungs­sen­sible Diver­sität zu fördern. Aber es ist trotzdem noch immer ein durch­struk­tu­rierter, hierar­chi­sierter, weiss dominierter, cis-männlicher Space. Wir müssen uns Fragen stellen wie: Welche Leute sind in den Insti­tu­tionen inklusive Publikum? Eine sehr zentrale Frage für meine Arbeit allgemein ist: Wie bewege ich mich als eine Schwarze, weiblich gelesene Person, deren Job es ist, sich damit ausein­an­der­zu­setzen? Zeit ist dabei ein entschei­dender Faktor.

Diversitätsagent:innen gibt es zum Beispiel in deutschen Kunst- und Kultur­in­sti­tu­tionen seit 2018. Im Rahmen des Kultur­för­de­rungs­fonds «360 Grad» wird dort die Frage gestellt, wie man den demogra­fi­schen Wandel in Deutschland, sprich den Fakt, dass die Stadt­ge­sell­schaften viel diverser sind als eigentlich in den Insti­tu­tionen gespiegelt, anerkennen kann. Die Arbeit ist also nicht neu, aber die Entwick­lungen und Resultate sind nicht linear, sondern in einer Wechsel­wirkung und abhängig davon, was politisch und «da draussen» passiert. Die Mühlen in diesen Insti­tu­tionen sind langsam. In den Diversitätsagent:innen-Netzwerken schätzen wir die Dauer der Trans­for­ma­tionen von Insti­tu­tionen auf circa 15 bis 20 Jahre.

Danielle Isler: Klar sind Fortschritte zu erkennen und es ist auch gross­artig, dass sich etwas bewegt. Aber die Frage ist: Ist das genug? Könnte in Anbetracht der Ressourcen, die wir in der Schweiz haben, noch mehr getan werden? Ressourcen im Sinne von finan­zi­ellen Ressourcen, Wissen, Arbeits­kraft und so weiter. Wenn es um die Verän­derung der Situation von margi­na­li­sierten Gruppen geht, kommt immer mal wieder das Argument: «Die Situation ist ja besser als auch schon. Früher war es viel schlimmer.» Es ist gut und wichtig, Positives zu erkennen und Fortschritte zu preisen. Jedoch können solche Argumente auch dazu führen, dass die Gerech­tig­keits­be­wegung nicht weiter voran­ge­trieben wird.

 

«Ich hoffe, dass ich im Alter nicht müde bin vom lebens­langen Kampf gegen den Rassismus.»

Yuvviki, du hast bereits dokto­riert – und du, Danielle, bist gerade dabei. Was habt ihr an den Univer­si­täten für Erfah­rungen gemacht? 

Yuvviki Dioh: Ich habe meine Disser­tation in der Abteilung Inter­na­tional Commu­ni­cation Studies zum Thema «Refugee Coverage» in ugandi­schen, kenia­ni­schen, deutschen und franzö­si­schen Zeitungen geschrieben. Das Unver­mögen, mit mir und meiner Arbeit umzugehen, war riesig. So hat man mich zum Beispiel gefragt, ob ich dazu forsche, weil ich aus diesen Ländern stamme. Ich fragte zurück: Ihr forscht ganz selbst­ver­ständlich zur UK oder zu Polen – und stammt auch nicht von dort. Auch waren nur wenige Daten­sätze aus dem globalen Süden vorhanden. Wenn ich beispiels­weise Daten­sätze aus Brasilien betrachtet habe, fragte man mich, ob ich mir wirklich sicher sei, damit univer­selle Aussagen zu tätigen. Und ich war so: Was macht ihr denn die ganze Zeit? Ihr nehmt die USA für Thesen und das, obwohl man das auch nicht mit unserer Gesell­schaft vergleichen kann.

Danielle Isler: Als Sozial­wis­sen­schaft­lerin, die zu struk­tu­reller Ungleichheit und struk­tu­reller Gewalt forscht, werde ich in meiner Doktor­arbeit zum Beispiel Johan Galtung, der als Gründungs­vater der Friedens- und Konflikt­for­schung gilt, zitieren müssen. Ich möchte keineswegs sagen, dass seine Werke, Konzepte und Theorien nicht wegweisend und aussa­ge­kräftig sind. Wenn es aller­dings um den Inhalt des Begriffs «Struc­tural Violence» geht, der 1969 auf Johan Galtung zurück­zu­führen ist, gibt es beispiels­weise die Afro-Brasi­lia­nerin Maria Carolina de Jesus, die circa ein Jahrzehnt zuvor ein ähnliches Konzept veröf­fent­lichte. Sie ist aller­dings wenig bekannt und wird dementspre­chend auch wenig zitiert. In meiner Doktor­arbeit möchte ich besonders darauf achten, auch Autor:innen zu zitieren, die eine kleinere Reich­weite haben, in Verges­senheit geraten sind und/oder in den Hinter­grund gedrängt wurden.

Ihr müsst euch theore­tisch also bewusst anpassen, um Erfolg zu haben?

Danielle Isler: Um als Schwarzer Mensch in geweissten Insti­tu­tionen voran­zu­kommen, ist es praktisch unumgänglich, sich den geweissten Normen entspre­chend zu verhalten. Wir alle haben unter­schied­liche Arten, uns in verschie­denen Situa­tionen zu präsen­tieren. Zum Beispiel verhalten wir uns auf der Arbeit, mit Freund:innen oder mit den Famili­en­mit­gliedern, die uns schon unser ganzes Leben lang kennen, anders. Diese Verän­derung wird als Code-Switching bezeichnet. Für BIPoC weltweit ist Code-Switching aller­dings oft eine Frage des Überlebens – insbe­sondere in geweissten Räumen.

Zu Beginn dieses Gesprächs ging es darum, die eigenen Grenzen zu spüren. Wie geht es euch diesbe­züglich bei eurer Arbeit? Habt ihr noch Kraft dafür oder denkt ihr manchmal auch ans Stillwerden? 

Yuvviki Dioh: Ich bin derzeit dabei, heraus­zu­finden, wie der Frust nicht zu gross wird und der Energie­haushalt ausge­glichen bleibt. Ich versuche auch zu lernen, dass ich nicht für alles verant­wortlich bin. Ich horche in mich hinein, überlege mir, wann ich was sage und wann nicht. Vor allem bei proble­ma­ti­schen Aussagen. Ich frage mich dann: Gebe ich meine Energie in diesen kleinen Moment rein? Oder nehme ich das Wissen, was soeben passiert ist, mit und lade die dafür verant­wort­liche Person an den nächsten Sensi­bi­li­sie­rungskurs am Haus ein, wo wir dann darüber sprechen werden? Ganz grund­sätzlich will ich meine Energien nicht für jene verbrauchen, die nicht wollen. Es gibt genug Menschen, die lernen und Teil einer Trans­for­mation sein wollen und da kanns schon schwierig genug werden.

 

«Viele haben oft eine wahnsinnige Angst davor, das Falsche zu sagen.»

Danielle Isler: Bereits als Kind habe ich Bücher gelesen, die von Bürger­rechts­be­we­gungen handelten. In der Schule hielt ich Vorträge zu Malcolm X, Miriam Makeba und Martin Luther King. Als ich älter wurde, schaltete ich in den Flucht­modus und beschäf­tigte mich weniger mit Themen rund um Gerech­tigkeit. Im Studium kam meine aktivi­stische Seite wieder hervor. Seit Jahren befinde ich mich nun in einem sogenannten Kampf­modus. Damit meine ich den Kampf für Gerech­tigkeit, «echten» Fortschritt und «echte» Teilhabe. Dieser Weg kann aber auch sehr ermüdend sein. Es gibt Tage, an denen ich nicht hören will, wo auf der Welt eine Schwarze Person aufgrund ihrer Hautfarbe getötet wurde. Oder was für eine neue Arielle-Diskussion angelaufen ist. An solchen Tagen möchte ich für einmal nicht über struk­tu­relle Ungleich­heiten sprechen, sondern einfach nur über etwas aus meiner Sicht Belang­loses, wie zum Beispiel über Nagellack.

Ein befreun­deter, älterer Schwarzer Anti-Apartheid-Aktivist aus Südafrika, der während über zwei Dritteln seines Lebens in Zeiten der Apartheid gelebt hat, meinte einmal zu mir: «Ich war mein ganzes Leben lang ein verbit­terter, trauriger Mensch. Meine Kinder haben einen unglück­lichen Mann gesehen und nun meine Gross­kinder. Wann wird dieses Land zu einem gerechten Ort? Wann werde ich endlich glücklich sein?»  Diese Sätze haben mich markiert. Ich hoffe, dass ich im Alter nicht müde bin vom lebens­langen Kampf gegen den Rassismus. Vor allem, wenn sich bis dahin nicht viel geändert hat.

 

«Allyship ist keine Identität, sondern eine Handlung. Es findet im Moment statt.»

Yuvviki Dioh: Ich will nicht bitter werden. Meine Freundin Leslie Philbert, die im Tanzhaus arbeitet, spricht immer über «Black Joy» und das inspi­riert mich. Ich will «joyful» sein, auch in meiner Arbeit. Ich will die Leute um mich herum gerne haben, auch wenn sie manchmal dumme Sachen sagen (lacht). Wir müssen aus diesem Kreislauf von Gewalt und Wut herauskommen.

Wie kann man bei diesem Prozess unter­stützen? Wie ist man ein guter Ally? 

Yuvviki Dioh: Viele haben oft eine wahnsinnige Angst davor, das Falsche zu sagen. Ich finde dann: Genau dafür ist mein Job da. Du musst weder vor mir noch vor dem Thema Angst haben. Klar wird es unangenehm. Es ist kein harmo­ni­scher Wir-haben-uns-alle-gern-Prozess. Es wird hart. Aber es ist gut und richtig. Beginne, Codes und Ästhe­tiken zu lesen. Setze dich mit Reprä­sen­ta­tions-Fragen ausein­ander. Du musst es für dich kulti­vieren und immer wieder probieren. Bei Fehlern nicht einknicken, sondern sagen: Scheisse gemacht, aber jetzt weiter. Du darfst in heiklen Momenten nicht defensiv werden, was aber oft aus einem Scham­gefühl passiert.

Danielle Isler: Zuhören, Selbst­re­flexion und Verlernen ist sehr wichtig. Und sich weiter­zu­bilden. Auch ich musste mich einer­seits weiter­bilden und anderer­seits Selbst­re­flexion prakti­zieren und Dinge verlernen, die ich gelernt hatte. Denn nur weil man zum Beispiel Schwarz ist, wird man nicht per se zu einem Anti-Rassis­mus­experten oder einer Anti-Rassis­mus­expertin. Man kann zwar Rassismus erfahren und spüren, aber nicht unbedingt mit einer Theorie verknüpfen und dementspre­chend auch nicht gut artiku­lieren. Weil man es nicht gelernt hat. Genauso müssen weisse Menschen diese Struk­turen lernen. Eine beste Freundin zu haben, die Schwarz ist oder bei der Roten Fabrik ein Praktikum gemacht zu haben, führt nicht automa­tisch dazu, dass man sich seinem «White Privilege» bewusst ist und theore­ti­sches Wissen darüber hat, was BIPoC tagtäglich erleben in dieser struk­turell rassi­sti­schen Welt. Allyship ist keine Identität, sondern eine Handlung. Es findet im Moment statt. Wenn du zum Beispiel laut Stopp sagst. Ally sein kann auch bedeuten, dass du nach einem rassi­sti­schen Vorfall den Raum verlässt.

Yuvviki Dioh: Nutze dein Privileg. Dazu braucht es das Verständnis, wieso du privi­le­giert bist.

Danielle Isler: In aktivi­sti­schen Kreisen heisst es auch: «If it doesn’t cost you anything, then you’re not doing anything». Es muss dich Mut und Überwindung kosten. Auch uns kostet es was.

*Als Cisgender werden Menschen bezeichnet, deren Geschlechts­iden­tität demje­nigen Geschlecht entspricht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde .
** Black, Indigenous and People of Color

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