In den letzten Tagen hat sich die Lage in Bosnien zugespitzt. Wir wollten von euch wissen: Wie geht es euch dabei? Und wie geht ihr mit der gegenwärtigen Situation um?
Anna, 31
Mein Vater ist Serbe und ich schäme mich zutiefst für das Verhalten der Serben in Republika Srpska (und für Đoković). Es gibt kein Pardon. Ich weiss, dass es vielen Serben so geht, ich wünschte bloss, sie wären lauter und würden sich stärker gegen solche Schandtaten einsetzen. Man muss die eigenen Reihen stärker sensibilisieren und mobilisieren.
Irma, 34
Ich denke das Thema lässt niemanden kalt, der Wurzeln im Balkan hat. Bosnien hat einen der schlimmsten Kriege in Europa erlebt und die Wunden sind immer noch tief. Meine Eltern sind vor einem Jahr pensioniert worden und leben jetzt in Bosnien. Meine Schwiegereltern, weitere Familienmitglieder und Freunde, welche mir sehr nahe stehen und bei denen ich kaum erwarten kann, sie in den Ferien wiederzusehen, leben dort. Ich habe Angst um diese Menschen.
Ich habe Angst, dass es wieder soweit kommt, dass erneut Tausende ihr Leben lassen müssen, dass sie gequält, vergewaltigt und vertrieben werden. Es ist alles noch so präsent, dass einem die Gedanken und Bilder wieder durch den Kopf schiessen. Ich hoffe nur, dass Europa das alles nicht wieder geschehen lässt, sondern rechtzeitig reagiert. In Bosnien kocht die Situation fast über und in der Schweiz sehe ich, wie gleichgültig man dem Thema gegenüber ist. Das macht Angst.
«Ich habe Angst, dass es wieder soweit kommt, dass erneut Tausende ihr Leben lassen müssen.»
Admir, 34
Ich bin Bosnier, lebe in der Schweiz und verfolge die Situation in Bosnien aufmerksam. Die Situation ist wenig erfreulich, jedoch nicht so explosiv wie oft von den Medien dargestellt. Ich denke nicht, dass es zu einem Krieg kommen wird, dafür wären die Verluste auf der serbischen Seite zu gross. Meiner Meinung nach ist es realistischer, dass das Land getrennt wird und sich ein pseudo-grossserbisches Reich bildet. Auf was wir unser Augenmerk legen sollten, ist allerdings, dass der serbische Nationalismus wieder gestärkt und glorifiziert wird. Dieser wird von den Osteuropäischen Staatsoberhäuptern, denen der Islam in Europa ein Dorn im Auge ist, gutgeheissen.
Dina, 42
Die alten Wunden kommen wieder hoch. Die Angst ist wieder da. Heute bin ich eine erwachsene Frau, aber ich fühle mich wie damals, als der Krieg ausbrach, machtlos. Wenn ich nur daran denke, was alles passiert ist und wieder passieren könnte, spüre ich einen Druck in meiner Brust und ein heftiges Herzklopfen, so dass ich fast keine Luft bekomme. Ich habe aber noch die Hoffnung, dass wir uns alle gemeinsam gegen die Grausamkeiten verbünden und das Schlimmste verhindern können.
Adis, 32
Ich habe Mühe, den Ernst der Lage einzuschätzen, da ja von den Serben in der Republika Srpska immer wieder Provokationen ausgehen, um Bosnien zu destabilisieren. Das ist eine Strategie von Dodik (und anderen), um sich an der Macht zu halten. Was mir allerdings Angst macht, ist dass diese Politik (wie schon in den 90er Jahren) zu funktionieren scheint. Der verstärkt aufflammende Nationalismus unter den Serben ist auch in der Schweiz spürbar. Man erkennt seine Verantwortung am Krieg nicht an, sondern versucht die Taten zu verharmlosen (ja klar, im Bürgerkrieg kämpften einige wenige Individuen untereinander und Völkermord hat es angeblich auch nie gegeben) oder sich selbst als Opfer darzustellen. Dass man hier nichts dazugelernt hat, macht mir Angst.
Niki, 31
Ich finde es toll zu sehen, dass es auch andere Menschen gibt, die kritisch denken und das Verhalten und die Handlungen der Menschen kritisieren und nicht die Nationalität eines Menschen in den Vordergrund stellen. Leider ist mein Balkanumfeld hier (obwohl es vielfältig ist) sehr nationalistisch und betreibt Geschichtsrevisionismus. Von meiner Familie unten muss ich gar nicht erst anfangen… Ich danke euch, zeigt ihr mir, dass es auch andere gibt und ich nicht alleine den Kampf gegen Nationalismus führe. ❤️