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Tagung der Migrationskommission – «Migrant*innen wurden als fremd und defizitär bezeichnet»

Artan Islamaj nahm an der Jahrestagung der Eidgenössischen Migrationskommission teil – und wurde enttäuscht. Ein Leserbrief.

Die Eidge­nös­sische Migra­ti­ons­kom­mission lud am 8. November zur Jahres­tagung in Bern ein. Im Zentrum des Anlasses stand die Frage: «Die Schweiz: eine Chancen(gerechte)-Gesellschaft für alle?» In Input­re­fe­raten und einer Podiums­dis­kussion zeigten die Referent*innen den status quo zur Chancen­ge­rech­tigkeit auf, mit Blicken in die Vergan­genheit und in die Zukunft. Im Fokus stand die Frage nach Chancen­gleichheit im Bildungs­wesen und die Integration in den Arbeits­markt von Kindern und Jugend­lichen mit so genanntem Migrationshintergrund.

Laut eigenen Angaben fungiert die EKM unter anderem als Beraterin des Bundes­rates und der Verwaltung in Migra­ti­ons­fragen. Aufgrund dieser doch einfluss­reichen Position hatte ich bis anhin ein äusserst positives Bild dieser Kommission, auch weil sie mich als migran­tische Person in der Schweizer Politik mitre­prä­sen­tieren soll.

«Durch­gehend wurden Migrant*innen als fremd und defizitär bezeichnet (…).»

An der diesjäh­rigen Jahres­tagung wurden meine Erwar­tungen, vielleicht auch weil ich das erste Mal da war, jedoch schnell enttäuscht. Mit einer gewissen Irritation vernahm ich, dass einige der geladenen Fachexpert*innen Stereo­typen von Migrant*innen repro­du­zierten und verfe­stigten. Dies mag, so sprach ich mir selbst gut zu, mögli­cher­weise auf eine fehlende Sensi­bi­li­sierung in Bezug auf Sprache in Migra­ti­ons­the­ma­tiken aufweisen. Schnell merkte ich jedoch, dass die gebrauchte Sprache kongruent war mit der Art und Weise wie Menschen mit biogra­phi­schen Migra­ti­ons­er­fah­rungen wahrge­nommen werden.

Durch­gehend wurden Migrant*innen als «fremd» und «defizitär» bezeichnet, in genannten Beispielen übten Migran­tinnen stets den Beruf der «Putzfrau» (eine sensible Person hätte wohl «Reini­gungs­kraft» gesagt) aus und Eltern von Schul­kindern mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund wurden in den meisten Beispielen als weniger engagiert und ambitio­niert, bildungsfern und eher armuts­be­troffen darge­stellt. Dies sind Begriff­lich­keiten und Bilder, die im heutigen Diskurs durch ihren negativen und simpli­fi­zie­renden Charakter als überholt gelten, zumal hier «Migra­ti­ons­hin­ter­grund» mit «sozio-ökono­mi­schen Status» gleich­ge­setzt wurde – und zwar tenden­ziell mit einem niedrigen.

Auch die Idee, durch Muster­bei­spiele von äusserst leistungs­träch­tigen Migrant*innen Erfolgs­ge­schichten der Schweiz zu zemen­tieren, ist proble­ma­tisch. So wurde die migran­tische Community in zwei geteilt: jene, die unter jeglichen Bedin­gungen Leistung erbringen wollen und können, und andere, die dies nicht wollen. Letztere waren nicht nur negativ konno­tiert, sondern wurden gleich­zeitig (ab)gewertet, da eben erstere durch ihre Bemühungen auch wirtschaft­lichen Nutzen für die Schweiz erbringen würden. Das grösste Risiko, das ein diskri­mi­nie­rendes Bildungs­wesen mit sich brächte, war nicht etwa Ungerech­tigkeit, nein – es war die Belastung der Steuer­zah­lenden. Diese würden durch vermeintlich geschei­terte Migrant*innenkinder, ihre Bildungs­bio­gra­phien und zweit­klassige Integration in den Arbeits­markt also unnötig zur Kasse gebeten.

«Auch die Idee, durch Muster­bei­spiele von leistungs­träch­tigen Migrant*innen Erfolgs­ge­schichten der Schweiz zu zemen­tieren, ist problematisch»

Diese doch sehr ökono­mische Heran­ge­hens­weise, die von vornherein Migrant*innen in «nützlich» (= müssen wir hier behalten) und «weniger nützlich (= faul = und nicht zwingend hier zu behalten) finde ich horrend. Migrant*innen sollten doch gerade von der EKM nicht anhand der Bewertung ihres ökono­mi­schen Nutzens selek­tiert werden.

Als besonders herab­lassend und pater­na­li­stisch empfand ich den Gebrauch von Posses­siv­pro­nomina, um von Personen zu sprechen, die man auf ihrem Bildungsweg in den Schweizer Bildungs­in­sti­tu­tionen unter­stützt hat. Nein, ich möchte nicht «mein Migrant», «unsere Flücht­linge» und «meine auslän­di­schen Kinder» hören.

Auch die publik geteilten Anekdoten über besonders «rührende» Begeg­nungen mit unter­pri­vi­le­gierten Migrant*innen empfand ich und so auch andere Migrant*innen, die im Raum unter­re­prä­sen­tiert waren, als sehr befremdlich, wie Gespräche mit diesen beim anschlies­senden Apéro ergaben. So beispiels­weise die pathe­tische Geschichte über eine Gruppe migran­ti­scher Jugend­licher, die innerhalb der Bildungs­in­sti­tu­tionen als «verloren» galten, aber «rührend» waren, da sie bei einer Zusam­men­kunft spontan zusammen zu singen begannen, so schön, dass der Erzäh­lerin das Herz aufge­gangen sei.

Verstehen Sie mich nicht falsch, es ist nichts falsch daran, singende Migrant*innen als rührend zu empfinden. Es ist das «trotzdem», das mich stört. Sie waren rührend, obwohl sie eigentlich verloren waren. Zwar verloren, aber immerhin sangen sie schön, mit so viel «Tempe­rament» und «Herzblut», zum Amusement der privi­le­gierten Erzäh­lerin. Migrant*innen erscheinen nur dann wichtig, wenn sie der Mehrheits­ge­sell­schaft einen Nutzen, hier Unter­haltung oder Zugang zur eigenen Emotio­na­lität, bieten können. Dies sehe ich insbe­sondere deshalb als proble­ma­tisch, weil darauf wieder Wortlaute wie «auslän­disch» und «fremd­sprachig» folgten – was das denn genau heisst und welche Impli­ka­tionen solche Worte haben, wurde nicht weiter erläutert oder hinterfragt.

«Migrant*innen erscheinen nur dann wichtig, wenn sie der Mehrheits­ge­sell­schaft einen Nutzen (…) bieten können.»

Zwei Licht­blicke gab es dann doch, nämlich Mark Terkes­sidis (Autor und Kolonia­lismus- und Migra­ti­ons­for­scher) und Elke-Nicole Kappus (Leiterin der Stabs­stelle Chancen­ge­rech­tigkeit der PH Luzern), die beide in ihren Inputs diffe­ren­ziert, sensibel und reflek­tiert auftraten. Ihnen gelang es, wichtige Heraus­for­de­rungen, die sich aus der Migration ergeben, zu thema­ti­sieren ohne eine pater­na­li­stische Sprache zu benutzen. Dieser Eindruck hat sich in Gesprächen mit beiden nach dem Event noch bestärkt. Ihre Mitwirkung an der Tagung machte mir Hoffnung. Die beiden zeigten mir, dass die Art und Weise, wie wir über Migrant*innen sprechen, wertschätzend sein kann, und an der prekären Situation vieler Menschen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund Anteil nehmen kann, ohne sie zu wandelnden Mangel­wesen zu degradieren.

Ich habe Hoffnung, dass meine wohlwol­lende Kritik zur EKM gelangt und so doch eine explizite und funda­mentale Änderung herbei­führt, sei es im Booking von Gästen oder allgemein in der Sprache und Sensi­bi­li­sierung zum Thema Migration. Es ist vor allem die defizit­ori­en­tierte Sprech­weise, ein scheinbar noch sehr präsentes Überbleibsel der tradierten Migra­ti­ons­for­schung- und arbeit, welche es zu überwinden gilt.

«An der Jahres­tagung wurde viel über Migrant*innen gesprochen und nicht mit ihnen.»

Aber auch das Line-Up war aus verschie­denen Gründen nicht optimal: es waren vor allem Leute dabei, die nicht sensi­bi­li­siert sind (oder dies zumindest nicht so ausdrücken konnten). So sehr ich das langjährige Engagement aller Referent*innen schätze, so sehr möchte ich darauf hinweisen, dass vielleicht auch gerade das der Grund dafür war, dass neuere und progressive Perspek­tiven keinen Eingang in die inhalt­liche Gestaltung der Tagung fanden. Es wäre nicht nur ein mutiges, sondern auch die Wirklichkeit besser abbil­dendes Zeichen, wenn auch jüngere Stimmen bei der nächsten Tagung Raum erhielten.

Aber nicht nur entlang der Achse von «Alter», sondern auch dem migran­ti­schen Vorder- und/oder Hinter­grund gibt es Verbes­se­rungs­mög­lich­keiten: Migrant*innen sollten in ihrer Vielfalt sicht­barer sein, sei es in den angeführten Beispielen von Menschen oder als Teil der einge­la­denen Referent*innen. An der Jahres­tagung der EKM wurde viel über Migrant*innen gesprochen und nicht mit ihnen; und noch weniger kamen wir selbst zu Wort.

Eine Fachtagung soll keine Betrof­fen­heits­parade sein und ich spreche Menschen ohne Migra­ti­ons­hin­ter­grund nicht ab, dass sie solide Forschung zur Lebens­rea­li­täten von Migrant*innen leisten können. Aber es hätte ein symbol­po­li­ti­sches Zeichen gesetzt, wenn auf der Bühne auch Migrant*innen auch als achtens­werte Expert*innen präsent gewesen wären – nicht bloss als bemit­lei­dens­werte Putzfrauen in Beispielen.

Ich hoffe, dass meine Kritik gehört wird und bin aber auch zuver­sichtlich, dass durch solche Inter­ven­tionen die EKM als etablierte Insti­tution aktiv für eine progres­sivere, inklu­sivere und inter­sek­tio­nalere Schweiz einstehen und diese auch mitge­stalten wird.

  1. Laura Romina

    Hallo Artan — was für ein fundierter und detail­lierter Erfah­rungs­be­richt du geschrieben hast! Ich bin unheimlich gespannt, ob deine Worte Anklang fanden und es wäre noch viel spannender zu sehen, ob das Komitee vor hat das Framing und die Sprache zu optimieren! Würde mich gerne beim nächsten Treffen selber davon überzeugen…
    Alles Gute

  2. Vielen Dank für diesen wertvollen Beitrag!

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