Darija ist Vegetarierin. Wie sie ihrer Familie aus Bosnien erklärte, dass sie künftig kein Fleisch mehr essen wollte, und was es statt Ćevapčići nun auf ihrem Teller gibt, erzählt sie hier.
Das Highlight, wenn du «dunne» bist, ist der erste Besuch im Grillrestaurant deines Vertrauens. Jene Lokale befinden sich in der Regel an einer stark befahrenen Hauptstrasse. Parkplätze hat es nur wenige, deshalb parkiert man das Fahrzeug einfach am Strassenrand. Im Restaurant riecht es meistens stark nach Rauch vom Grill und nach verbranntem Fett.
«Im Restaurant riecht es meistens stark nach Rauch vom Grill.»
Es herrscht reger Betrieb und deine bestellten Ćevapi werden dir von der freundlichen Bedienung innerhalb weniger Minuten serviert. Die Tische sind verklebt und meistens viel zu klein für die grossen Portionen. Darauf stehen Halter mit so dünnen Servietten, dass du mindestens vier davon brauchen wirst, um dir Finger und Mund abzuwischen. Und dann geht der Gaumenschmaus auch schon los: Die kleinen Würstchen werden in eine leicht pikante Sauce namens Ajvar getunkt. Dazu gibt es in Fett gewendetes Fladenbrot und rohe Zwiebeln.
Doch auf dieses Erlebnis verzichte ich nun mit gutem Gewissen, denn ich ernähre mich, trotz meiner Herkunft aus Bosnien, vegetarisch.
Zwischen Verzicht und kultureller Verbundenheit
Auf dem Balkan enthalten Hauptspeisen in der Regel Fleisch – alles andere ist in der Hierarchie der Esswaren zweitrangig. Daher hat es mich grosse Überwindung gekostet, mich als Vegetarierin zu outen und meinen Eltern zu erklären, dass ich in Zukunft kein Fleisch mehr essen wollte. Ich hatte tausend Befürchtungen: Würde ich künftig nicht mehr zu der Hochzeit meiner Cousine eingeladen werden? Müsste ich an Weihnachten hungern? Oder würde man mich sogar enterben?
«Auf dem Balkan enthalten Hauptspeisen in der Regel Fleisch. »
Familien vom Balkan essen typischerweise überdurchschnittlich viele Fleischgerichte. Der Speiseplan meiner Eltern ist hier keine Ausnahme. Egal ob ich im Bündnerland oder auf Korsika in den Ferien war – das beste Souvenir für meine Familie war stets eine lokale Fleischspezialität. Traditionell wird in meiner Familie weiterhin Fleisch selbst getrocknet und im Sommer viel gegrillt. Und obwohl mich mein Aufwachsen mit Fleisch geprägt hat, und ich es mit meinen Wurzeln in Bosnien verbinde, habe ich mich entschieden, das Thema Fleisch vom Teller zu verbannen. Erst habe ich meinem Konsum stark reduziert und anschliessend den Schritt gewagt, meine Eltern mit diesem Thema zu konfrontieren und auch zuhause kein Fleisch mehr zu essen.
Warum der Dialog wichtig ist
Aufklärung in Sachen Fleischkonsum wird immer wichtiger. So erlebte auch ich starkes Mitgefühl und Trauer, nachdem ich mir Dokumentation zum Thema angeschaut hatte. Wer sucht, findet zahlreiche dieser Dokus auf Youtube und Netflix. Nachdem ich mir die ganzen Videos zur Fleischproduktion angesehen hatte, fiel es mir sehr schwer, weiterhin Fleisch zu essen.
«Nachdem ich mir Videos zur Fleischproduktion angesehen hatte, fiel es mir sehr schwer, weiterhin Fleisch zu essen.»
Kommen wir zu den Fakten: Der Fleischkonsum lag in der Schweiz im Jahr 2020 bei 50.9 Kilo pro Kopf. Insgesamt wurden also 447’482 Tonnen Fleisch verzehrt. Um ein Kilo Rindfleisch zu produzieren, werden ungefähr 15’300 Liter Wasser verbraucht. Der enorme Wasserverbrauch ist einer der Gründe, warum der Fleischkonsum zu den grössten Umweltsünden überhaupt gehört. Doch eine Gegenbewegung ist in der Schweiz bereits spürbar. Immer mehr Menschen hinterfragen ihren Fleischkonsum und ernähren sich im Idealfall vegetarisch oder gar vegan. Uns in der Schweiz bereiten solche Änderungen der Essensgewohnheiten keine grossen Umstände. Wir leben in solchem Überfluss, dass wir bei jeder Mahlzeit bewusst eine Entscheidung treffen können, ob wir nun Fleisch essen oder nicht. Bei Leuten, die beim Entscheid Richtung Vegetarismus noch auf der Kippe stehen, spielt das geschmackliche Erlebnis oft eine entscheidende Rolle. Dabei gibt es mittlerweile viele Ersatzprodukte, die sich geschmacklich von Fleisch kaum unterscheiden lassen.
Vegetarische Belohnung
Ich war in einem Dilemma: Die Kultur meiner Eltern ist geprägt von überdurchschnittlich vielen Traditionsgerichten mit Fleisch. Da «nein» zu sagen, und den Fleischkonsum im Elternhaus zu verweigern, braucht Mut. Doch so problematisch und tragisch, wie ich es mir ausgemalt hatte, war es überhaupt nicht. Anfangs wurden meine liebsten Fleischgerichte oft ausgerechnet dann zubereitet, wenn ich bei der Familie zu Besuch war. Ob das Zufall war oder eine harte Probe des Schicksals, kann ich noch heute nicht sagen. Aber ich konnte widerstehen und inzwischen bereitet meine Mama an Festtagen sogar vegetarische Sarma für mich zu. Eine weitere Taktik auf dem Weg zum Vegi ist es, das Zepter selbst in die Hand zu nehmen – und die Familienmitglieder mit köstlichen, vegetarischen Speisen zu bekochen.
Ich habe zudem festgestellt, dass auch «dunne» fleischlose Gerichte gar nicht mal so schwierig zu finden sind. In den Restaurants gibt sich das Personal jeweils grosse Mühe, aus all den fleischlosen Beilagen ein reiches Menü zusammenzustellen. Das Ergebnis sind nicht selten riesige Portionen fleischloser Pita, Grillgemüse und verschiedenen Saucen, da man der Meinung ist, ohne Fleisch könne einer ja kaum satt werden. Und sogar an der Hochzeit meiner Cousine durfte ich bei der Essensauswahl nach einer Extrawurst verlangen – und bekam einen wahren Vegi-Traum aufgetischt, bei dem den anderen (fleischessenden) Hochzeitsgästen das Wasser im Mund zusammenlief.
Das Jugo-Gerichte-Glossar
Ćevapi, oder auf Deutsch Ćevapčići, sind fingergrosse Bratwürstchen vom Grill. Traditionell werden sie in Bosnien mit Fladenbrot, rohen Zwiebeln, Ajvar und Kajmak (eine süsslich schmeckende Milchpaste) serviert. Mittlerweile gibt es auch vegetarische Versionen davon.
Ajvar ist quasi das Ketchup des Balkans. Hierfür werden Peperoni und Auberginen lange gekocht und anschliessend konserviert.
Sarma sind ähnlich wie das bündnerische Capuns, gekochte Sauerkrautblätter gefüllt mit Fleisch und Reis. Vegetarisch kann man das Traditionsgericht mit Gemüse, Reis und Nüssen füllen.
Hey Darija — same same here! Nur bin ich manchmal nicht so willensstark, wie du und lasse mich bei meinen liebsten Fleischgerichten in den zwei Wochen “dunne” doch noch ein, zwei Mal mitreissen — shame on me…
Aber als bei einem grossen Lebensmittelkonzern in der Schweiz vegane Ćevapi in der Vegggieabteilung verfügbar waren, hat mein Herz ein grosses Fest gefeiert! Denn lecker, wie die fleischigen sind die allemal!
Hoi Darija,
Merci für de spannendi Bihtrag. Bi Sarma hani echt müesse schmunzle. Mis Mami het grad letschti im Family Chat geschriebe: alo dijeco, ko ce sutra na sarmu i pite kod nas? ich: jooojjj mama pa ja ne jedem vise meso 😅. schwöster: mama pa i ja isto ne. oh gott wer heti das denkt, sarma stirbt 🤣! brudi: no comment. mama: sarma nece usstirbe! ajde vidimo se sutra. paar h spöter schickt sie eifach es Bild mit 1 lonac Vegi und 1 lonac mit Fleisch und schriebt, evo kuva se, mami hat mit gemize gemacht 🥲 majko lijepa draga ma ti si prava legenda, volim te!! Bosnischi Grüess us Züri