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Von Özil und Rassismus

Rassismus macht vor niemandem Halt, weder vor Mesut Özil noch vor unserer Autorin. Weshalb dies beunruhigend und ermutigend zugleich ist.

«In den Augen von Grindel und seinen Helfern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, und ein Immigrant, wenn wir verlieren.» Mit diesem mittler­weile promi­nenten Satz verab­schiedete sich Mesut Özil Ende Juli aus der deutschen Natio­nal­mann­schaft. Kein Bänderriss ging dem Abgang voraus, und auch nicht etwa der Wunsch, sich als fünffacher Natio­nal­spieler des Jahres nun Weinreben in der Toskana zu widmen. Özil ging und hinter­liess den bitteren Vorwurf des Rassismus; es folgten ein medialer Aufschrei, Recht­fer­ti­gungs­ver­suche («aber das Bild mit Erdogan…») und die empörte Frage, wie es möglich ist, dass selbst Spitzen­sportler von Rassismus nicht verschont bleiben.

Denn was heisst es für die Integration von Hundert­tau­senden von Einwan­derern in Deutschland und der Schweiz (der Doppel­adler lässt grüssen), wenn selbst die Leistung eines Spitzen­sportlers nicht auszu­reichen scheint, um als deutscher Staats­bürger vollständig anerkannt zu sein und von Rassismus verschont zu bleiben? Es macht deutlich, dass Rassismus rein nichts mit der persön­lichen Leistung jener zu tun hat, auf die er abzielt. Er hat nichts mit seinen Opfern zu tun. Eine gleich­zeitig beunru­hi­gende wie auch ermuti­gende Erkenntnis.

Rassismus hat nichts mit der Leistung zu tun – beunru­higend und ermutigend zugleich.

Beunru­higend deshalb, weil sie einen herben Kontroll­verlust bedeutet. Rassismus kann sich sowohl gegen Spitzen­sportler wie auch Staats­prä­si­denten richten. Er findet seinen Weg in die Chefetagen von Fussball­ver­bänden, in Regie­rungs­ge­bäude, Presse­häuser, Restau­rants, Clubs und Klassen­zimmer. So wurde Mesut Özil vom SPD-Stadtrat Bernd Holzhauer wegen seines Treffens mit Erdogan als «Ziegen­ficker» bezeichnet. Die Vorsit­zende einer gemein­nüt­zigen Organi­sation bezeichnete Michelle Obama im Jahr 2016 als «Affe auf Absätzen». Und auch ich wurde während meiner Schulzeit, wenn auch auf subtilere Art und Weise, von einem Lehrer rassi­stisch angegangen, etwa als er mich, meine Schwester und zwei andere Kinder vor der ganzen Klasse auffor­derte, uns von unseren Stühlen zu erheben, um schliesslich mit geheim­nis­voller Miene in die Runde zu fragen: «Was ist an diesen Schülern anders als am Rest der Klasse?».

Die Szene sorgt noch heute für ein flaues Gefühl im Magen.

Die starrenden Blicke unserer Mitschüler, die Hände, die sich in die Luft streckten, das minuten­lange Ratespiel der Klasse, was denn an uns so «anders» sei, während wir verlegen im Klassen­zimmer herum­standen – der Gedanke an diese Szene sorgt noch heute für ein flaues Gefühl im Magen. Befreit wurden wir schliesslich von dem Mann, der uns überhaupt erst in diesen Hinterhalt geritten hatte, indem er seine Frage auflöste: «Bei diesen Schülern handelt es sich um Ausländer. In der heutigen Lektion reden wir darüber California region phone , dass die Schweiz ein Auslän­der­problem hat.»

Unsere schuli­schen Leistungen, die damals überdurch­schnittlich gut waren, spielten für unseren Lehrer keine Rolle. Für ihn waren wir bereits mit unseren zehn Jahren ein gesell­schaft­liches Problem, eine Bürde für die Schweiz. Und während die Erkenntnis Angst macht, dass, egal wie «integriert» du bist, du es schlichtweg nicht in der Hand hast, ob du als vollstän­diges Mitglied der Gesell­schaft anerkannt wirst oder nicht, macht eben diese Erkenntnis auch Mut. Denn sie zeigt: Rassismus hat nichts mit dir selbst zu tun. Er ist ein Problem in den Köpfen jener, die sich von Vorur­teilen leiten lassen, und nicht selten dazu neigen, gute Leistungen als «positive Ausnah­me­erschei­nungen» zu betrachten, persön­liche Fehler oder Misstritte jedoch der Migra­ti­ons­ge­schichte zuzuschieben. Denn welcher Rastislav oder Muhammad hat in seinem Leben nicht schon mal das vermeint­liche Lob «du bist aber anders als die anderen Ausländer» gehört, während Kritik oft mit Vorur­teilen bezüglich der Herkunft gepfeffert wird?

Kritik ohne Rassismus

So wäre es in der Tat möglich gewesen, sowohl Mesut Özil für das Bild mit Erdogan, als auch Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri für das Symbol des Doppel­adlers zu kriti­sieren, ohne von «Ziegen­fickern» zu reden oder eine Grund­satz­de­batte über die Doppel­bür­ger­schaft loszu­treten, die, nur so am Rande erwähnt, sehr wenig mit der eigent­lichen Kritik an den jewei­ligen Spielern zu tun hat.

Dass die Diskussion über den Einzelfall hinausgeht, zeigt der Hashtag #MeTwo, den der Twitter-Nutzer Ali Can ins Leben gerufen hat. Im dazuge­hö­rigen Video erklärt der 24-Jährige: «Ich bin nicht nur deutsch, weil ich mich an die Regeln halte und Erfolg habe.» Der mittler­weile tausendfach genutzte Hashtag macht einmal mehr deutlich, dass Rassismus-Erfah­rungen für viele mittler­weile zur Norma­lität gehören; auf der Strasse, in der Schule oder auf dem Arbeits­markt. Der Unter­schied zum Fall Özil: Die Betrof­fenen sind keine Natio­nal­spieler und ihre Geschichten so alltäglich, dass sie nahezu keine Wellen schlagen.

Inter­essant ist auch, dass viele dieser rassi­sti­schen Vorkomm­nisse von ihren Wider­sa­chern selten als solche wahrge­nommen werden. Ist sich die Arbeits­kol­legin bewusst, dass ihre Bemerkung «dir machen die heissen Tempe­ra­turen doch bestimmt nichts aus!» gegenüber einer dunklen Kollegin rassi­stisch ist? Und was ist mit dem Kollegen, der hinter dem Rücken einer musli­mi­schen Mitar­bei­terin lästert, sie sei wohl «eher tradi­tionell» und dürfe «nicht mit Männern sprechen», weil sie ihm eher aus dem Weg geht, da er ihr schlichtweg unsym­pa­thisch ist? Würde er zur selben Schluss­fol­gerung gelangen, wenn ihr Vorname Marie-Chantal wäre?

«Sie darf wohl nicht mit Männern sprechen.»

Hier kommen wir denn auch auf das eigent­liche Problem von Rassismus zu sprechen. Für Rassismus gibt es oftmals kein schrift­liches Einge­ständnis. Denn obwohl wir über eine Rassismus-Strafnorm verfügen, ist Rassismus oft schwer nachzu­weisen und es ist schwierig, mit spezi­fi­schen Fällen an die Öffent­lichkeit zu gehen. Wie bei der Sexismus-Debatte sind auch hier die Grenzen häufig fliessend und viele Situa­tionen wirken vorerst so banal, dass man sie als Betrof­fener einfach runter­spielt und mitlacht. Denn wer möchte schon als übersen­sibel gelten oder den Ruf einer Spass­bremse (oder schlimmer noch – eines Gutmen­schen) mit sich tragen?

Die gute Nachricht? Wir alle tragen einen gewissen Tank an Vorur­teilen mit uns herum und sind mit unseren kogni­tiven Fähig­keiten dennoch in der Lage, unsere eigenen Denkvor­gänge zu hinter­fragen. Denn genau darum geht es beim Thema Rassismus – um das kritische Reflek­tieren der eigenen Gedanken. Und wem das nicht gelingt, für den bleiben 615–544-1117 , wie beim Fussball­spiel, noch immer die Regeln des Fairplays und Anstands – in den  Verbänden, am Arbeits­platz, auf der Strasse und im Umgang miteinander.

 

Ramona Wakil

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