Aus Angst vor Schulproblemen sprechen viele Eltern mit ihren Kindern Deutsch statt ihrer Muttersprache. Lehrer Fisnik darüber, wieso das falsch ist.
«Zuhause wir nur Deutsch reden, dann mini Sohn besser in Schule.»
Diesen Satz habe ich einmal von einem Elternteil eines Schülers im Praktikum in Zürich gehört. Komisch wirkte das auf mich. Bekannt, aber komisch. Bekannt, weil ich mit diesem Satz schon fast aufgewachsen bin. Einzelne Lehrpersonen wiederholten ihn wie ein Mantra. Und vor allem hörte ich ihn als Kind von vielen verschiedenen Eltern, sowohl von Eltern mit als auch von Eltern ohne Migrationshintergrund.
In diesem Satz schwingt eine gewisse Assimilierungserwartung mit. Man hat sich zu assimilieren, sogar zuhause in den eigenen vier Wänden soll man keine andere Sprache als die Sprache der Mehrheitsbevölkerung sprechen. Natürlich ist es kein Verbot, aber es sei einfach «besser» für die Kinder. Es ist eine indirekte Aufforderung.
«Zuhause wir nur Deutsch reden, dann mini Sohn besser in Schule.»
Heute erinnert mich so ein Satz ein wenig an die diskriminierende Minderheitenpolitik im früheren Jugoslawien, Serbien und Mazedonien, von der meine Eltern und Grosseltern mir immer erzählten. Und natürlich wird unterschieden: zwischen Sprachen mit «hohem Prestige» wie Englisch, Französisch oder Spanisch und Sprachen mit «tiefem Prestige» wie Albanisch, Serbisch oder Türkisch. Neben der Assimilierungserwartung schwingt also auch eine gewisse Doppelmoral mit. Wieso soll Französisch besser als Türkisch sein? Nur weil durch Kolonialismus und Imperialismus Französisch heute auf der Welt verbreiteter ist als Türkisch? Seltsam.
Die dominierenden «Benennenden» – so nennt die deutsche Autorin Kübra Gümüşay in ihrem Buch «Sprache und Sein» diejenigen, die im Grunde genommen in einer Gesellschaft «die Regeln machen» – schaffen es sogar so sehr in die Köpfe der «Benannten» einzudringen, dass die Benannten dann an dieses Mantra glauben. Sie reden dann zuhause wirklich nur Deutsch. Das ist so schade.
Komisch wirkt dieser Satz auf mich, weil er vollkommen unwissenschaftlich ist. Linguistinnen, Linguisten, Pädagoginnen und Pädagogen haben bereits mehrfach gezeigt, dass Mehrsprachigkeit kein Hindernis in der Kindesentwicklung oder Bildungskarriere ist. Eher das Gegenteil ist der Fall: Je früher ein Kind bi- oder trilingual aufwächst, desto besser. Die Kurse in heimatlicher Sprache und Kultur (HSK), die es hierzulande gibt, wären sonst ja vollkommen sinnlos. In der Schweiz zeigte zum Beispiel der Germanist und Albanologe Basil Schader in einer Studie, dass der Besuch von albanischen HSK-Kursen ein positiver Faktor in der Bildungslaufbahn von Kindern und Jugendlichen mit Albanisch als Erstsprache war. Doch der Mensch tut sich ja bekanntlich manchmal schwer mit der Wissenschaft.
Je früher ein Kind bi- oder trilingual aufwächst, desto besser.
Mehrsprachigkeit ist mehr als normal, sie ist auch zu fördern. Ein Nachteil ist sie nicht, solange das Kind zuerst die Strukturen seiner Erstsprache gut lernt und dann die Zweitsprache in Angriff nimmt. Ich mache an jedem Elternabend Werbung für die HSK-Kurse. Auch binde ich die Erstsprachen meiner Schülerinnen und Schüler möglichst oft in den Unterricht mit ein. Die Kinder und Jugendlichen sollen sich so an Mehrsprachigkeit gewöhnen und auch die Parallelen und Zufälligkeiten zwischen den verschiedenen Sprachen erkennen. Dass Nomen im Deutschen gross geschrieben werden und im Italienischen zum Beispiel nicht, ist eine ziemliche Zufälligkeit.
Trotzdem ist es für den einen oder anderen Schüler nicht einfach, über seine Erstsprache zu reden. Einige schämen sich sogar. Daran sieht man, welch grossen negativen Einflüssen die Kinder ausgesetzt sind, ob von der Schule, den Eltern, Freunden, den Medien oder der Gesellschaft. Diese negativen Bilder oder Vorstellungen prägen uns alle. Dabei sind sie erstens unwissenschaftlich und zweitens auch unmoralisch.
Für Schüler ist es nicht einfach, über ihre Erstsprache zu reden. Einige schämen sich sogar.
Ich sprach zuhause nur mit meiner Schwester Deutsch. Genauer genommen sprachen wir als Kinder zuerst eine eigene Sprache. Sie basierte auf dem toskischen Dialekt der albanischen Sprache und wir verwendeten darin sehr viele deutsche Wörter. Ausserdem gab es hier und da ein mazedonisches oder türkisches Wort, war doch unser albanischer Dialekt sehr von diesen zwei Sprachen geprägt.
Mit der Zeit sprachen wir aber vermehrt Schweizerdeutsch. Mit den Eltern wurde nur Albanisch gesprochen. Nicht, dass unsere Eltern Deutsch zuhause verboten hätten, doch meine Schwester und ich fanden es einfach merkwürdig, mit den Eltern Deutsch zu sprechen. Das machten wir einfach nicht. In der Schule und untereinander sprach man Deutsch, mit den Eltern und der Verwandtschaft Albanisch. Heute rede ich mit meinen Geschwistern vermehrt Albanisch, das Deutsche springt aber irgendwann ein und verschwindet dann wieder, je nach Situation und je nach anwesenden Personen. Diese Springerei macht uns Spass. Mit den Eltern Deutsch zu reden ist aber immer noch komisch. Sorry Mami, sorry Papi.
Nächstes Mal sage ich solchen Eltern: «Reden Sie zuhause einfach Ihre Sprache.»
Eine Sprache zu lernen braucht Zeit und ist harte Arbeit, genauso wie Laufen, Reden, Velo- und Autofahren zu erlernen. Wer erinnert sich nicht an die mühsamen Französisch-Lektionen in der Schule? Lehrpersonen haben ein höheres Bewusstsein dafür, dass man zuhause nicht Deutsch reden muss, um in der Schule erfolgreich lernen zu können. Dies muss weiterverbreitet und hinausgetragen werden. Unsere Gesellschaft muss sich davon lösen, erstens Sprachen untereinander in eine «Rangliste» zu bringen und zweitens Menschen bestimmte Sprachen quasi aufzuzwingen. Letzteres tun diktatorische oder ethnozentristische Regimes und Regierungen – dies sollte in demokratischen Staaten mit den Menschenrechten als Basis aber nicht gemacht werden.
Meinen Schülerinnen und Schülern habe ich das einmal so erklärt: Die Schweiz ist ein Gewürzschrank. Es gibt Schweizer Salz und Aromat darin, sri-lankischen Pfeffer, italienisches Basilikum, kroatische Vegeta, albanisches Paprikapulver, indonesischen Zimt, thailändischen Chili, türkischen Kümmel, spanischen Majoran, serbisches Knoblauchpulver, französischen Dill und vieles mehr. Einzeln schmecken die Gewürze nicht wirklich, aber im Zusammenspiel mit anderen Gewürzen machen sie ein Gericht erst richtig schmackhaft. Die Gewürze widerspiegeln dabei die Kulturen und Sprachen unseres Landes. Und nächstes Mal sage ich zu den Eltern: «Reden Sie zuhause einfach Ihre Sprache.»
Dieser Beitrag ist mit so vielen sinnvollen Fakten geschrieben, dass ich ihn nur loben kann. Ich bin zurzeit in meiner Ausbildung zur angehenden Lehrerin. Finde diesen Text sehr hilfreich für meinen weiteren Weg. Danke!
Das freut mich sehr, N.g! 🙂
LG